Tagung "Partizipationsräume von Frauen in Geschichte und Gegenwart", 23. bis 25. Juli 2021

„Man kommt sich auf dem Gebiet der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor. Das liegt an der Taktik der Gegner.“ (Hedwig Dohm 1896) Seit sich im 19. Jahrhundert aus kleinen Anfängen eine machtvolle Frauenbewegung entwickelte, kämpfen die Frauenrechtlerinnen immer wieder um gleichberechtigte Teilhabe, im Bildungssektor, in Berufsfragen und schließlich in der Politik. Die Fortschritte lassen sich sehen, doch der Weg war höchst mühsam. Vieles ist noch nicht erreicht. Heute verdienen Frauen immer noch rund 18 Prozent weniger als Männer. Die Altersarmut ist weiblich. Neue GegnerInnen der Partizipation von Frauen beschweren sich über den „Genderismus“. Gleichzeitig lässt sich fragen, ob hinter den modernen Diversity-Ansätzen feministische Gleichstellungspolitik schon wieder ins Hintertreffen gerät. Keine Errungenschaft scheint dauerhaft gesichert. Zeigt dies nicht die noch immer niedrige, zum Teil sogar rückläufige Zahl weiblicher Abgeordneter in den Parlamenten? Diese und ähnliche Fragen in Geschichte und Gegenwart sind Gegenstand der Tagung, die der Fachbereich Geschichte der Akademie, die Landeszentrale für politische Bildung und der Verein Frauen & Geschichte Baden-Württemberg gemeinsam veranstalten. Zu den Teilnahmebedingungen beachten Sie bitte das Programm (pdf).Anmeldefrist: 6.7.2021

Partizipationsräume von Frauen in Geschichte und Gegenwart - Tagungsbericht

Tagungsbericht

Titel: Partizipationsräume von Frauen in Geschichte und Gegenwart

Ort: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungszentrum Hohenheim, und online

Veranstalter: Verein Frauen & Geschichte Baden-Württemberg, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Fachbereich Geschichte), Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Datum: 23.-25.07.2021

Von: Nora Plemper, Empirische Kulturwissenschaft, Eberhardt Karls Universität Tübingen

 

Unterstützer*innen der Frauenbewegungen kämpfen seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert für gleichberechtigte Teilhabe in jeglichen Bereichen des alltäglichen Lebens, wie der Politik, dem Bildungssektor und dem Beruf. Durch ihre Anstrengungen konnten viele Partizipationsräume für Frauen erstritten werden. Ein wichtiges Beispiel ist das Frauenwahlrecht, das in Deutschland im Jahr 2018/19 sein 100-jähriges Jubiläum feierte. Doch sind längst nicht alle Ziele erreicht und es wird weiterhin für mehr Partizipation – sprich für die Teilhabe an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen – von Frauen gekämpft. Wie Teilhabe dabei definiert wird, muss je nach Kontext stets neu verhandelt und ausgehandelt werden. Auch gleicht das historische Verständnis von Teilhabe nicht unbedingt dem gegenwärtigen: Was gestern noch Teilhabe war, mag heute nicht mehr ausreichen und morgen ganz undenkbar sein. Festgestellt werden kann jedoch, dass erkämpfte formale Beteiligung noch nicht gleichbedeutend mit der Teilhabe an tatsächlichen Entscheidungsprozessen ist. Willensbildungsprozessen wird in der historischen Forschung viel Aufmerksamkeit gewidmet, ebenso wichtig ist es jedoch zu betrachten, wie diese zu Entscheidungsprozessen werden. Was folgt nach Willensbildungsprozessen? Wann und wie werden sie zu Entscheidungsprozessen?

Kämpfe um weibliche Partizipationsräume in Geschichte und Gegenwart bildeten das Thema der Tagung Partizipationsräume von Frauen in Geschichte und Gegenwart. Diese wurde vom Netzwerk Frauen und Geschichte Baden-Württemberg e.V. in Kooperation mit dem Fachbereich Geschichte an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg durchgeführt. Bewusst wählten die Organisatorinnen einen breiten Partizipationsbegriff, um verschiedene Dimensionen von Partizipation zu erfassen und eine historische Linie der Kämpfe um sie nachzuzeichnen. Diese Linie zog sich durch die drei Sektionen Bildung als Partizipationschance?, Beruf als Partizipationschance? und Partizipation in trans- und internationalen Organisationen.

 

Sektion I: Bildung als Partizipationschance?

Die Erschließung von Partizipationsräumen durch Bildung und Bildungseinrichtungen war Thema der Sektion I: Bildung als Partizipationschance? der Tagung. Den Auftakt machte SYBILLE OSSWALD-BARGENDE (Stuttgart) mit ihrem Vortrag Die Heidelberger Sektion des Vereins „Frauenbildung – Frauenstudium“. Motor der (frauen-)politischen Partizipation? Im Fokus stand dabei das frauenpolitische Wirken Marianne Webers (1870-1954), die als Ehefrau des Soziologen Max Weber noch immer ein Schattendasein fristet. Marianne Weber war in der bürgerlichen Frauenbewegung sowie als Vorsitzende der Heidelberger Sektion des Vereins Frauenbildung – Frauenstudium aktiv gewesen. Nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts meldete sie umgehend ihre Kandidatur auf der Liste der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und zog bei der Wahl zur badischen Verfassunggebenden Versammlung am 5. Januar 1919 mühelos ins Parlament. Eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung und eine besonders hohe Mobilisierungsquote unter den erstmals wahlberechtigten Frauen seien zu verzeichnen gewesen. Die große Präsenz, Akzeptanz und der Bekanntheitsgrad der örtlichen bürgerlichen Frauenbewegungen, vertreten durch die Heidelberger Sektion des Vereins Frauenbildung – Frauenstudium und namentlich den Einsatz Marianne Webers, könnten hierfür als verantwortlich gesehen werden. Ein auf die örtlichen Bedürfnisse breiter (Frauen-)Kreise zugeschnittenes Angebot an Bildungsarbeit und sozialer Einrichtungen hätten zu diesem Erfolg geführt, ebenso wie Marianne Weber selbst als bekannte Persönlichkeit und Mitstreiterin.

Mit ihrem Vortrag Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung. Weibliche Partizipationsräume an der Universität Freiburg im frühen 20. Jahrhundert referierte REBECCA SCHRÖDER (Bonn) über Möglichkeiten der Partizipation katholischer Studentinnen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in der Weimarer Zeit. Schröder fragte dabei nach der Bedeutung von Katholizismus bzw. der Rolle der katholischen Kirche für jene Partizipationsprozesse. Sie legte dar, dass das Erkämpfen eigener Räume und die Gründung von Interessenvertretungen aus der Motivation der Akteurinnen entstanden seien, gleichermaßen wie ihre männlichen Kommilitonen an der Universität partizipieren zu können und als organisierte Gruppe aus der Vereinzelung herauszutreten. Hierbei sei sowohl ein katholischer Bezug in Form des Rückgriffs auf gelehrte Heiligenfiguren als auch die Anknüpfung an bestehende männliche Traditionen und Vereine zu verzeichnen. Mit der Frauenbewegung hätten die katholischen Studentinnen dann kooperiert, wenn dies die eigene katholische Position nicht in Frage gestellte habe. Katholische Studentinnen hätten sich so Partizipationsräume schaffen und ein erneuertes, emanzipatorisches Frauenbild etablieren können. Gleichzeitig seien Katholizismus und Konservatismus aber stets herrschende Prinzipien des Engagements geblieben. 

Ebenfalls der Universität als Partizipationsraum widmete sich MARION KELLER (Frankfurt am Main) in ihrem Vortrag „Rote Studentinnen“ an der Universität Frankfurt am Main. Zur politischen Partizipation von Studentinnen in Hochschulgruppen. Keller rekonstruierte die Partizipation von Frauen in kommunistischen und sozialistischen Studierendengruppen an der Frankfurter Universität Anfang der 1930er Jahre. Damit knüpfte sie an das Projekt „Universitätsgeschichte als Sozialtopographie: Ein Beitrag zur Geschichte des Frauenstudiums und weiblicher akademischer Berufswege in Frankfurt am Main“ an, das sie von 2012-2015 am Cornelia Goethe Centrum durchführte. Keller zeigte auf, wie groß bis zur Machtübergabe an die Nationalsozialisten in Frankfurt die Beteiligung (auch vieler jüdischer) Studentinnen an sozialistischen Gruppen war, die ihnen offensichtlich einen Ort gesellschaftlicher Emanzipation und gelebter Gleichberechtigung boten.

Intellektualität wird in der Zeitgeschichtsschreibung bis Ende des 20. Jahrhunderts zumeist im männlichen Kontext gedacht. Frauen erscheinen lediglich als marginale Figuren, denen kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird. Entgegen dieser Fokussierung auf die männliche Verkörperung des Intellektuellen zeigte THERESA HORNISCHER (Bielefeld) mit ihrem Vortrag Handlungsspielräume und Interventionsstrategien weiblicher Intellektueller in der Zwischenkriegszeit in Frankreich: der Fall Léo Wanner eine Perspektive auf weibliche Intellektualität auf. Mit Léo Wanner widmet sich Hornischer im Rahmen ihrer Dissertation einer bislang in der Forschung kaum rezipierten Protagonistin. Auf Grundlage der französischen und deutschen Intellektuellen-Soziologie betrachtet sie die Partizipations- bzw. Handlungsspielräume, die sich Frauen der Zwischenkriegszeit im Einzelfall eröffneten, wie auch die Interventionsstrategien, die sie individuell nutzten, um als ‚eingreifende Denkerinnen‘ öffentlich Kritik zu formulieren. Frauen sei es möglich gewesen, als Intellektuelle aufzutreten. Sie taten dies aber meist im Kollektiv, um öffentlich wirksamer erscheinen zu können. Männliche Intellektuelle hingegen agierten im politischen Diskurs als ‚autonome Subjekte‘. Das Reisen (im Fall von Léo Wanner in französische Kolonialgebiete und die Sowjetunion) ermöglichte es Frauen laut Hornischer jedoch, aus dem Kollektiv herauszutreten, autonom zu agieren und etwa über Augenzeugenberichte öffentlich zu intervenieren, als Intellektuelle und Aktivistinnen zu handeln. 

Sektion II: Beruf als Partizipationschance?

Die Erschließung weiblicher Partizipationsräume über Berufs- und Erwerbsarbeit nahm Sektion II: Beruf als Partizipationschance? in den Blick. SABINE LIEBIG (Karlsruhe) referierte unter dem Titel Der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein als Möglichkeit politischer und gesellschaftlicher Partizipation von Lehrerinnen im 19. und 20. Jahrhundert über eine Gruppe von Akteurinnen, die sich über ihre Profession zu einem aktiven Interessensverband zusammenschloss. Im Fokus stand dabei das Wirken zweier württembergischer Lehrerinnen, Febronie Rommel (1853-1927) und Martha Moritz (18491921). In bestehenden Lehrervereinen und -versammlungen oft diffamiert und nicht ernst genommen, schlossen sich Lehrerinnen zu eigenständigen Interessensvertretungen zusammen und gründeten am 27. Mai 1890 in Friedrichsroda den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein als Dachverband. Die Verbandszeitschrift „Die Lehrerin in Schule und Haus“ zeige die Handlungsmöglichkeiten auf, die sich die Pädagoginnen durch ihren Zusammenschluss schufen, so Liebig. Das häufig transportierte Bild der Lehrerin als alte, einsame und verhärmte Jungfer sei keineswegs zutreffend. Vielmehr habe sich der Großteil der Lehrerinnen für die Durchsetzung und Vertretung der Interessen ihres „Lehrerinnenstandes“ ambitioniert engagiert und sich mit Petitionen für eine Abschaffung des „Lehrerinnenzölibats“ stark gemacht.

Weibliche Partizipation im Kontext von Sozialer Arbeit beleuchtete WALBURGA HOFF (Münster) in ihrem Vortrag Das Soziale erkennen und verstehen. Soziale Arbeit als Partizipationsraum weiblicher Intellektualität. Soziale Arbeit werde in ihrer Entstehungsgeschichte vorwiegend als Professionalisierungsprojekt bürgerlicher Frauen rezipiert. Hoff hingegen stellte die intellektuellen Ambitionen führender Protagonistinnen in den Mittelpunkt und skizzierte damit das Emanzipationsprojekt Soziale Arbeit auch als ein intellektuelles Projekt des frühen 20. Jahrhunderts. Um sich in dem als weiblich und mit Care Arbeit assoziierten Feld Sozialer Arbeit als Intellektuelle positionieren und behaupten zu können, sei ein spezifischer Typus weiblicher Intellektualität notwendig gewesen. Nur durch die Anpassung an geltende Vorstellungen des weiblichen Geschlechtscharakters habe sich die Partizipation an der männlich konnotierten Wissenschaftskultur sowie am politischen Diskurs umsetzen lassen. Dies führte für die Akteurinnen jedoch häufig zu einer Außenseiterinnenrolle. Am Beispiel von Maire Baum (1874-1964) als „weiblicher Intellektueller in der sozialen Arbeit“ skizzierte Hoff, wie schwer es intellektuell ambitionierten Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht wurde, einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

Über die Frage, welche Wege und Strategien sich die bürgerliche Frauenbewegung zu eigen machte, um neue Berufsfelder für Frauen im wilhelminischen Deutschland zu eröffnen, referierte METTE BARTELS (Göttingen) in dem auf ihrem Dissertationsprojekt basierenden Vortrag Frauenbewegung, Beruf, Partizipation. Frauenbewegte Strategien und die Schaffung neuer Berufsfelder für bürgerliche Frauen um 1900. Bartels betrachtete weibliche Praktiken der Aneignung von überwiegend männlich konnotierten Berufen und stellte dies am Beispiel des Gärtnerinnenberufs vor. Das wenig bekannte Konzept der Gartenbauschulen, die sich von der bürgerlichen Frauenbewegung bis in die 1920er Jahre in einigen Regionen Deutschlands als Ausbildungsstätten an Frauen richteten, präsentierte Bartels unter Klassen- und Geschlechteraspekten. Nach ihrer Einschätzung sind die Aneignungsstrategien der Frauenbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts direkt und untrennbar mit Fragen um Klasse und Geschlecht verknüpft. Die gesellschaftliche Inklusion und Exklusion basierten auf Vorstellungen und Stereotypen über Klasse und Geschlecht. Dies entscheide etwa darüber, ob bürgerliche Frauen bestimmte Berufe ergreifen konnten und wollten. Klassenregulatorische Aspekte und hierarchische Verhältnisse machte Bartels auch zwischen bürgerlichen Gärtnerinnen und proletarischen Gartenarbeiterinnen aus. Neben diesen Fragen fokussierte Bartels auf die internen ideologischen Selbstverortungen der bürgerlichen Frauenbewegung im sogenannten radikal-fortschrittlichen und dem gemäßigten Flügel und den teilweise fließenden Übergängen zwischen beiden Strömungen.

Wie bei zwei ihrer Vorrednerinnen dieser Sektion war auch bei ANNE KREMER (Mannheim) die Organisation im Verbund das Thema ihres Vortrags „Frauen stehen ihren Mann.“ Weibliche Möglichkeitsräume in der IG Metall. Kremer betrachtete die Beteiligung von Frauen im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in der Industriegesellschaft (IG) Metall bis zur deutschen Wiedervereinigung. Die IG Metall als eine grundsätzlich dem Ideal der Gleichheit verpflichtete Organisation der westdeutschen Nachkriegszeit gelte gemeinhin als Wahrerin von Arbeiter*innenrechten. Die Gewerkschaftsbewegung sei so im Idealfall auch verknüpft mit dem Kampf um Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Der historische Blick auf Möglichkeiten und Grenzen der weiblichen Teilhabe in der IG Metall zeige jedoch, dass in diesem männlich dominierten Gewerkschaftsumfeld zwischen den programmatischen Forderungen und der tatsächlich gelebten Organisationskultur große Diskrepanzen bestanden. Die ‚Frauenfrage‘ sei lange Zeit als „Nebenwiderspruch“ zur zentralen ‚sozialen Frage‘ wahrgenommen worden. Zudem sei der Gewerkschaftsapparat durch eine hegemoniale Männlichkeit hinsichtlich eines männlich definierten Habitus sowie Arbeitsethos geprägt (gewesen) und habe damit das gewerkschaftliche Engagement von Frauen und deren Partizipation in der Organisation erschwert.

Mit ALICIA GORNY (Bochum) wurde eine weitere Einzelgewerkschaft hinsichtlich ihrer Partizipationsmöglichkeiten für Frauen in den Blick genommen. Unter dem Titel „Die Unorganisierbaren.“ Weibliches Engagement in der Gewerkschaft Textil und Bekleidung referierte Gorny in Anlehnung an ihr Dissertationsprojekt über die Auswirkungen der Kategorie Geschlecht auf die Gewerkschaftsarbeit. In der Gewerkschaftsgeschichte existiere generell ein blinder Fleck, was die Partizipation von Frauen in Arbeitnehmer*innenorganisationen anbelange. Dies befördere einen Gender Bias. Entgegen der geläufigen Darstellung herrsche in Gewerkschaften ein hoher Organisationsgrad von Frauen vor – gerade auch in der Gewerkschaft Textil und Bekleidung. Frauen seien gewerkschaftlich gut organisiert und einflussreich. In den Vorständen jedoch spiegele sich das Engagement von Frauen nicht wider. Je mehr Macht mit den Positionen innerhalb der Gewerkschaft verbunden sei, desto weniger Frauen ließen sich dort wiederfinden. Es bestehe eine „gläserne Decke“ auch in von weiblichen Mitgliedern dominierten Gewerkschaften. Hauptvorstand und Gremien blieben vorrangig männlich besetzt, während Frauen weniger repräsentative Nebenämter innehätten. Der Gender Bias führe zudem dazu, dass Frauenarbeitsplätze im Zuge des Strukturwandels ‚leise stürben‘. So nehme die Gewerkschaftsgeschichtsforschung den Wegfall von 800.000 hauptsächlich weiblich besetzen Stellen in Textil- und Bekleidungsindustrie in den letzten Jahrzehnten nicht wahr.

Die Chemieindustrie als Partizipationsraum von Frauen war Thema des Vortrags ‚Die Chemikerinnen dürfen nicht den Mut verlieren‘. Naturwissenschaftlich gebildete Frauen in der deutschen Chemieindustrie von ANNA HORSTMANN (Bochum). Präsenz, Rollen und Karrieremodelle von naturwissenschaftlich gebildeten Frauen in deutschen Chemieunternehmen im 20. Jahrhundert standen dabei im Fokus. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts begannen Frauen vermehrt in Laboren zu arbeiten. Ihre Qualifikationen wurden jedoch nicht als solche anerkannt, sondern als weibliche Eigenschaften gelesen und ge- oder missachtet. Neben der (fehlenden) Anerkennung für Frauen in der Chemieindustrie stelle deren Repräsentation in der Firmenkommunikation einen wichtigen Aspekt der In- und Exklusionsmechanismen in dieser Branche dar. Die Chemieindustrie sei bis heute ein segregierter Arbeitsmarkt. Nach wie vor arbeiteten Chemikerinnen in spezifischen Bereichen wie der Literatur- und Patentbearbeitung oder führten Laborarbeiten aus und würden damit häufig als Hilfsarbeiterinnen stilisiert. Der Grad der Exklusion von Frauen in der Chemieindustrie habe zwar abgenommen, Geschlechtergerechtigkeit sei jedoch noch lange nicht erreicht.

Sektion III: Partizipation in trans- und internationalen Organisationen

Die dritte Sektion der Tagung näherte sich der weiblichen Partizipation in trans- und internationalen Organisationen größtenteils über einen biografischen Zugang. MIRJAM HÖFNER (Freiburg) betrachtete in ihrem Vortrag In der Internationalen Frauenbewegung der 1920er Jahre. Die Frauenrechtlerin Dr. Dorothee von Velsen (1883-1970) das „weltoffene“ Bemühen ihrer Protagonistin, die deutsche bürgerlich-liberale Frauenbewegung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 wieder in die internationalen, westlich orientierten Frauenorganisationen ‚International Council of Women‘ (ICW) und ‚International Woman Suffrage Alliance‘ (IWSA) zurückzuführen. Höfner setzte die Biografie von Velsens mit ihrem Engagement in Beziehung und analysierte daran exemplarisch, wie Partizipation als Voraussetzung, Weg und Ziel der internationalen liberalen Frauenbewegungsarbeit der 1920er Jahre fungierte. In ihrer Funktion als Vorsitzende des Deutschen Staatsbürgerinnenverbands von 1921 bis 1933 sei von Velsen zum Teil erheblicher Widerstand, auch im deutschen Kontext, entgegengebracht worden. Trotzdem sei es ihr gelungen, durch ihre Arbeit das Vertrauen ihrer transnationalen Mitstreiterinnen zu gewinnen und so an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen mitzuwirken.

In die Biografieforschung einzuordnen ist auch der Vortrag „Mit gewissenhafter Prüfung des Gegebenen darf sich schließlich ja auch eine Frau befassen.“ Die Historikerin Lady Charlotte Blennerhassett und der kirchenpolitisch-historische Diskurs der Zeit zwischen dem I. Vatikanum und der Modernismuskrise von LAURA PACHTNER (Passau). Lady Charlotte Blennerhassett (1843-1917), geboren als Charlotte von Leyden, habe mit den von ihr eingenommenen Positionen stets Spannungen in ihrem Umfeld erzeugt. Ihr Kampf um intellektuelle Selbstbestimmung zunächst von der Mutter gebremst, sei sie später mit Unterstützung eines Mentors, der ihre historischen Studien förderte, aktiv geworden. Der Frauenbewegung gegenüber kritisch eingestellt, beschäftigte sich Blennerhassett mit anderen Themengebieten: Als weibliche Gelehrte und Autorin setzte sie sich mit kirchenhistorisch-theologischen Fragestellungen auseinander. Zwar wurde dies Frauen ihrer Zeit nicht offen zugestanden, konnte jedoch über thematische Umwege sowie die Zusammenarbeit mit gelehrten männlichen Vertrauten umgesetzt werden. Blennerhassett gelte als die ‚große alte Dame des liberalen Katholizismus‘. Sie habe als intellektuelle Frau agiert, die sich über ihre Freundschaft zu Männern Partizipationsräume erschlossen habe.

Im Fokus des Beitrags Humanitäre Hilfe als Partizipationsraum. Feministinnen in transnationalen Organisationen der Zwischenkriegszeit von RUTH NATTERMANN (München) stand der Aktivismus zweier Protagonistinnen – der italienischen Modeschöpferin Rosa Genoni (1867-1954) und der britischen Ärztin Hilda Clark (1881-1955). Nattermann beleuchtete die Herstellung weiblicher Partizipationsräume und die Strategien der politischen Einflussnahme von Frauen in humanitären Vereinigungen, die aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen waren, anhand der Praxisfelder Flüchtlingsarbeit und humanitäre Hilfe. Beide Protagonistinnen unterschiedlichen nationalen, sozialen und kulturellen Hintergrunds hatten sich parallel zu ihrem humanitären Engagement für feministische wie auch pazifistische Vereinigungen eingesetzt. Das Engagement und die Positionierungen von Genoni und Clark müssten unter dem Einfluss der alltäglichen Erfahrung von Gewalt betrachtet werden, mit denen Frauen bei der Arbeit in humanitären Organisationen konfrontiert wurden. Dies habe die Entwicklung weiblicher Partizipationsräume in transnationalen humanitären Organisationen über die Zwischenkriegszeit hinaus geprägt. Für Genoni und Clark boten humanitäre Organisationen die Möglichkeit der Partizipation und einen Raum, wo sie viele Facetten ihrer feministischen, pazifistischen und humanistischen Anliegen leben konnten.

OXANA NAGORNAJA (Yaroslavl, RU) nahm mit ihrem Vortrag „… vor allem, weil sie eine Frau ist…“ Geschlechterspezifische Partizipationsmodelle in der sowjetischen Kulturdiplomatie des Kalten Krieges Wechselbeziehungen kulturdiplomatischer Akteur*innen mit Machtinstitutionen in der ehemaligen UdSSR in den Blick. Nagornaja zeigte die komplexe Verflechtung institutioneller und ideologischer Beeinflussung „von oben“ mit dem Eigensinn der Laiendiplomatinnen auf und beleuchtete das permanente Aushandeln persönlicher Freiräume auf beiden Seiten. Die Präsenz von Frauen in den Strukturen außenpolitischer Repräsentationen der UdSSR im Kalten Krieg weise eine deutliche Dissonanz zwischen dem Bild der propagierten Geschlechtergleichheit und der tatsächlichen Praxis auf. Die sowjetische Außenpolitik sei stark patriarchal geprägt gewesen. Gleichzeitig jedoch habe die kulturpolitische Sphäre Frauen einen partizipativen Raum eröffnet, in dem ihr Engagement in (quasi-)öffentlichen Organisationen durchaus erwünscht war. Die Aktivistinnen hätten sich mit ihrer Arbeit einerseits in den Strukturen eines sie instrumentalisierenden Systems gesehen, andererseits aber auch die Ressourcen dieser mächtigen Parteimaschinerie für eigene Ausbildungsprojekte und benötigte materielle Mittel nutzen können. Den Widerspruch zwischen dem sozialistischen Emanzipationsprojekt, der ambitionierten Rolle von Frauen im Kalten Krieg und eingeübten patriarchalen Deutungsmustern habe die Sowjetunion in ihrem internationalen Auftritt nicht zu lösen gewusst. Aus diesem Grund sei die sowjetische Frauenbewegung nach und nach auf innere Aktivitäten beschränkt worden.

Partizipationsprozesse von Mandatsträgerinnen im bayrischen Landesparlament standen im Fokus des Vortrags Aufbruch – Rückschritt – Fortschritt. Weibliche Abgeordnete im Bayrischen Landtag (1919-1933 / 1946-2016): Eine Kollektivbiografie von DANIELA NERI-ULTSCH (Regensburg). Angesichts eines viele Jahre extrem niedrigen und nur langsam ansteigenden Anteils weiblicher Abgeordneter im Bayrischen Landtag nahm Neri-Ultsch Voraussetzungen und Verlauf der parlamentarischen Teilhabe und des Aufstiegs von Parlamentarierinnen in politische Führungspositionen in Bayern in den Blick. Über die Betrachtung der politischen Sozialisation sowie der Wege in die Politik der Frauen zeigte sie auf, dass sich weibliche Partizipationsmöglichkeiten im Laufe der Jahrzehnte veränderten, wobei große parteispezifische Unterschiede zu verzeichnen seien. Durchgehend relevante Aspekte in der Biografie politisch aktiver Frauen seien Bildung und Berufstätigkeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Insgesamt ließen sich in der bayrischen Landespolitik nur zögerliche gesellschaftliche Veränderungsprozesse hinsichtlich einer geschlechtergerechten Teilung von Macht und Einfluss feststellen.

SUSANNE MAURER (Marburg) stellte in ihrem von den drei Sektionen unabhängigen Abendvortrag „Wir werden uns würdig erweisen“ – „Wir haben die Schnauze voll“? Strategien der Partizipation in der alten und neuen Frauenbewegung Bemühungen um gesellschaftliche Teilhabe der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Frauenbewegung gegenüber. Mittels welcher Strategien agierten die jeweiligen Protagonist*innen in ihrem Kampf um Partizipation? Maurer zeigte unterschiedliche ‚Räume der Imagination von Partizipation‘ und darauf gründende politische Praktiken der beiden Bewegungen auf. Die Motivation der ersten Frauenbewegung ‚Ich will teilhaben‘ sei gekoppelt an den Anspruch, einen weiblichen Beitrag zu Gesellschaft und Staat zu leisten – sprich, sich ‚würdig zu erweisen‘. Demgegenüber beanspruchte die neue Frauenbewegung mit ihrer entgegengesetzten Einstellung von Partizipation als ‚Ich weise etwas zurück‘ Autonomie und Selbstbestimmung.  „Wir haben die Schnauze voll“ sei damit als Programmatik der Akteurinnen zu verstehen. Trotz dieser Differenzen ließen sich auch Parallelen beider Bewegungen feststellen. Sowohl alte als auch neue Frauenbewegung zielten mit ihrem Aktivismus auf Tabubrüche ab. ‚Das Private‘ rückte in die Öffentlichkeit und das Persönliche wurde als politisch erklärt. Geschlechterverhältnisse und die Frage der Reproduktion – in Bezug auf Beziehungsarbeit, Gefühlsarbeit, Kinder – wurden angeprangert. Maurer thematisierte zudem ‚dissidente Partizipationsformen‘ und die Gleichzeitigkeit von Separatismus und dem Ringen nach Partizipation in beiden Frauenbewegungen.

Der Vortrag ist unter dem nachfolgenden Link über YouTube abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=ReCGxqQVjjM

Zusammenfassung und Diskussion  

Die sechzehn Vorträge der Tagung umfassten eine Vielzahl der Dimensionen weiblicher Partizipation. Der Fokus lag dabei vor allem auf der Vorbereitung und der Beteiligung an Willensbildungsprozessen. In der Abschlussbetrachtung wurde für ein vielschichtiges Denken des Partizipationsbegriffs plädiert, das auch Entscheidungsprozesse einschließe. Zudem sei eine Definition des je verwendeten Partizipationsbegriffs unerlässlich.

Ein Großteil der Beiträge zeigte das Potenzial der Biografieforschung bei der Betrachtung von Partizipationsprozessen auf: Über das biografische Brennglas werde der Blick in neue Richtungen geleitet sowie neue Fragen aufgeworfen. Biografien machten Kontinuitäten wie Brüche von Partizipation deutlich und fungierten als Typus vor der Rahmung struktureller Bedingungen. Sie ermöglichten es, Handlungsspielräume zu analysieren und nach Kräftefeldern zu fragen, in denen sich Akteur*innen bewegen. Nicht außer Acht gelassen werden dürfe aber die Gefahr einer hagiografischen Biografieforschung und die Tatsache, dass es sich bei Biografien immer auch um Konstruktionen handele.

Abschließend wurde das Plädoyer formuliert, Geschichtsschreibung als politische Praxis zu verstehen. Die Auseinandersetzung mit Geschichte befähige dazu, anders mit der Gegenwart umzugehen und diese zu gestalten. Aus diesem Grund müsse Geschichtsforschung in aktuelle politische Prozesse eingebracht und ihr Potenzial genutzt werden.

 

 

 

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