01. Januar: Jenny Heymann (1890–1996)
Ihr Lebensinhalt war die Idee der Versöhnung gegensätzlicher Welten und Glaubensvorstellungen


Jenny Heymann
Am 1.Januar 1947 kehrte die 56-jährige Stuttgarter Jüdin aus der Londoner Emigration nach Stuttgart zurück und hier begann die mutige warmherzige Lehrerin trotz ihrer erlittenen Verfolgung und Vertreibung eine dritte Lebensphase, die sie vor allem auch der Versöhnung widmete.
Noch immer ist sie eine Ikone der Menschlichkeit: Aus ihrer bitteren Erfahrung und nicht zuletzt aus ihrer Würde, Wärme und Güte schöpfte die geistig Hellwache und Begeisterungsfähige ihren ungebrochenen ethischen Anspruch.
Auf ihren Spazierwegen im Stuttgarter Osten, die sie von ihrem Domizil in der Ameisenbergstraße 39 auch zur Aussichtsstrecke der Stuttgarter Haußmannstraße führten, war die zierliche, weißhaarige, schwarz gekleidete hochbetagte Dame mit den lebendigen Augen oft zu treffen.
Ihre in Fürth 1887 verehelichten Eltern - Helene geb. Brüll (1866-1941) und der „Banquier" Heinrich Heymann (1849-1924), der als Kaufmann seit 1896 das Bankgeschäft Heymann und Cie in der Königstraße 49 leitete - waren wie später auch die Tochter Anhänger einer liberalen jüdischen Assimilation.
Die am 28.10.1890 geborene Jenny - ein gutes Jahr nach ihrem später als Pflegling in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten (Remstal) gestorbenen Bruder Otto (1889-1928) - wächst in der Residenzhauptstadt Stuttgart in der Uhlandstr. 23 auf. Ihr Schulweg zum Königlichen Katharinenstift, wo sie gegen den Einspruch ihres Vaters nach dem Abschluss des „Höheren Töchterinstituts" mit Erfolg das Lehrerinnenseminar besucht, führt sie am Wilhelmspalais vorbei und durch die königlichen Schlossanlagen und vermittelt ihr eine noch unangetastete gesellschaftliche Zugehörigkeit.
Nach ihrer Dienstprüfung ist sie ab 1910 Unterstufenlehrerin. Unbefriedigt über die damit verknüpften beruflichen Chancen legt sie das Latinum ab, kann von 1919 bis 1922 ein weiterführendes Studium der neueren Sprachen in Tübingen und Hamburg anschließen und die Dienstprüfungen ablegen. Damit tritt sie die gehobene Beamtenlaufbahn des „realistischen" Lehramts an. 1929 wird sie Studienrätin an der Mädchenrealschule (dem heutigen Goethegymnasium) in Ludwigsburg. Hier ist seit 1928 Dr. Elisabet Kranz, (1887-1972) die erste Schulleiterin Württembergs. 1933 kann Jenny Heymann nach der „Entfernung" aus dem Amt durch die Nazidiktatur als Lehrerin im jüdischen Landschulheim Herrlingen bei Ulm vorerst in einer pädagogisch offenen Schule tätig sein. Es gelingt ihr von hier aus, 1939 der Ausgrenzung, Verfolgung und Tötung durch den Gestapoapparat zu entkommen. Ihre Personalakte wird 1945 vernichtet.
In London hält sie sich als Hausgehilfin und Lehrerin über Wasser und schafft die Verknüpfungen für ihre schon 1950 beginnenden Austauschaktivitäten ihrer Ludwigsburger Schülerinnen.1949 begründet sie die heute noch existierende Schulpartnerschaft mit der North London Collegiate School. Ihre Wohnung in der Ameisenbergstraße ist von ihrer 1937 denunzierten und zwangspensionierten Kollegin und Freundin Dr. Elisabet Kranz bewahrt und gehütet worden. Sie wird 1950 wieder Schulleiterin ihres gemeinsamen früheren Gymnasiums und arbeitet hier eng mit der nun rehabilitierten Studienrätin Jenny Heymann zusammen, die ab 1953 als Oberstudienrätin am Hölderlingymnasium in Stuttgart unterrichtet und nach ihrer Pensionierung 1956 Geschäftsführerin der neu gegründeten Stuttgarter Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wird, die bis heute für die Versöhnung aller Religionen tätig ist.
Jenny Heymann, die von ihren Schülerinnen liebevoll genannte „heyfrau", war in ihrer Lebensplanung von Anfang an emanzipiert und couragiert. Dass sie nach Stuttgart zurückkehrte, ist ein Zeichen ihrer Größe, aber auch ihrer Verbundenheit. Als Englischlehrerin ist sie mit ihrem „muttersprachlichen" Akzent, ihrer pädagogischen Wärme, ihrem begeisternden Idealismus für ihre Schülerinnen auch heute noch ein großes Vorbild.
Für ihre Lebensleitung und ihren Willen zur Toleranz erhält sie hundertjährig die Stuttgarter Otto-Hirsch-Medaille. Am 13.6.1996 ist sie im hundertsechsten Lebensjahrgestorben und wurde auf dem jüdischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs begraben.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Jenny Heymann (1890-1996), Lebensstationen einer jüdischen Lehrerin mit bildungsgeschichtlichen Streifzügen durch Württemberg, Ausstellungskatalog der Ausstellung im Hotel Silber, Stuttgart 2021.
Melanie Elze, Rosemarie Godel-Gaßner, Alfred Hagemann, Sabine Krehl (Hrsg.): Jenny Heymann (1890-1996). Lebensstationen einer jüdischen Lehrerin mit bildungsgeschichtlichen Streifzügen in Württemberg. Transfer - Ludwigsburger Hochschulschriften, Band 18 (2020)
Mascha Riepl-Schmidt: Jenny Heymann (1890-1996), in: Momente, Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg, 1/2011, S. 16.
Bildquelle: Stadtarchiv Stuttgart
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt

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