27. Februar: Elisabeth Hartnagel, geb. Scholl (1920–2020)
Schwester von Sophie und Hans Scholl


Elisabeth Hartnagel anfangs der 1950er-Jahre
Elisabeth Hartnagel geb. Scholl wurde am 27. Februar 1920 als mittleres Kind der ursprünglich sechs Geschwister des Ehepaars Robert Scholl (1891–1973) und Magdalena (Lina) Scholl, geb. Müller (1881–1958) in Forchtenberg am Kocher geboren. Einen Tag nach ihrem 100. Geburtstag am 28. Februar 2020 ist die Friedensfrau in Stuttgart gestorben.
Vom Tod ihrer Geschwister Sophie und Hans Scholl, die am 22. Februar 1943 nach einem Schauprozess im Volksgerichtshof München verurteilt und am selben Tag hingerichtet worden waren, erfuhr Elisabeth aus der Zeitung und dachte zuerst, dass diese Meldung nicht wahr sein könne. Doch spätestens als sie selbst und die ganze Familie Scholl am 27. Februar - an ihrem 23. Geburtstag - verhaftet wurden, musste sie den bedrohlichen Ernst der Lage begreifen.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs heiratete sie 1945 Fritz Hartnagel, den engen Freund Sophies. Der Jurist Fritz Hartnagel schwieg lange über seine Freundschaft mit Sophie. Dass sie ihn „geformt" habe, stellte er jedoch nie in Frage. Sehr viel später schilderte Elisabeth im Interview, dass sich ihre tiefe Freundschaft durch ihr gemeinsames Schicksal und die Trauer über den Verlust in Liebe verwandelt habe. Die zurückhaltend bescheidene Elisabeth Hartnagel, die keine Interesse am Rampenlicht hatte, übernahm dennoch nach dem Tod der ältesten Schwester Inge Aicher-Scholl 1998 die Aufgabe, in Zeitzeugengesprächen an die Widerstandsgruppe „Weiße Rose" und an ihre Geschwister zu erinnern. Öffentliche „Festivitäten" der Erinnerung hielt sie jedoch für oberflächlich.
Inmitten ihrer sechs Geschwister – Inge (1917–1998), Hans (1918–1943), Sophie (1921–1943), Werner (1922–1944, in Russland vermisst) und der sehr früh verstorbenen Thilde Scholl (1925–1926) – fühlte Elisabeth sich immer gut aufgehoben. Wie die Geschwister ging Elisabeth in Ulm zur Schule und war wie Inge und dann Sophie bei den „Jungmädeln" organisiert. Hans war „Fähnleinführer" beim Jungvolk. Werner war der erste Nazigegner der Geschwister. Er hatte sich 1932 der Bündischen Jugend angeschlossen, die bald von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Er freundete sich hier mit Fritz (Friedrich) Hartnagel (1917–2001) an, der seitdem zur Familie gehörte.
Der Vater, der immer wieder als Bürgermeister arbeitete, sah von Anfang an in „Hitler eine Gottesgeißel der Menschheit". Den weltanschaulichen und politischen Wandel der Geschwister, ihre Abwendung vom Nationalsozialismus spätestens seit dem Reichsparteitag in Nürnberg 1936 verstanden die Eltern.
Hans Scholl, seit 1942 einer der Initiatoren der „Weißen Rose", war wie seine Verbündeten dieser studentischen Widerstandgruppe (Sophie kam erst später dazu) vom Krieg, von den Massenermordungen und dem Elend des Warschauer Ghettos alarmiert. Im sechsten ihrer zur „Aufklarung" verteilten Flugblätter, das zu ihrer Entdeckung führte, machten sie die deutsche Niederlage von Stalingrad öffentlich und riefen zum Kampf gegen die NSDAP auf.
Elisabeth, die zu dieser Zeit als Kinderkrankenschwester und Familienhilfe in einem Bauernhof bei Ingolstadt arbeitete, hatte Hans und Sophie im Januar 1943 in München besucht und nichts vom aktiven Widerstand der Geschwister bemerkt. Sie sei zu naiv gewesen. Die Geschwister weihten sie und die Familie bewusst nicht ein. Selbst Mitwissen konnte ja für ein Todesurteil genügen. Zwei Wochen nach ihrem Besuch wurden Hans und Sophie am 18. Februar verhaftet.
Nach der Beerdigung wurde die ganze Familie Scholl unterschiedlich lange eingekerkert. Elisabeth erkrankte während ihrer Gefängniszeit und wurde deshalb nach zwei Monaten entlassen.
Fritz Hartnagel, der im Sommer 1943 erneut als Soldat abkommandiert und schwer verletzt worden war, stellte sich im April 1945 in Halle/Saale den US-amerikanischen Streitkräften und kam in Kriegsgefangenschaft. Im September 1945 konnte er zu seiner Familie nach Ulm zurückkehren.
Seit 1952 engagierten sich Elisabeth und Fritz Hartnagel, der 1970 zum Vorsitzenden Richter am Landgericht Stuttgart bestellt wurde, gegen die Wiederbewaffnung und unterstützten die internationale Arbeit der Kriegsdienstgegner. Die beiden hatten vier Söhne und engagierten sich im Sinne der Ermordeten aktiv in der Friedensbewegung.
Danach befragt, ob das Leben seit der Ermordung von Hans und Sophie und ihrer Mitstreiter für sie eine Bürde gewesen sei, antwortete Elisabeth, dass sie ihre Familiengeschichte als Auszeichnung begreife.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Inge Aicher-Scholl, (Hg.): Sippenhaft. Nachrichten und Botschaften der Familie in der Gestapo-Haft nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl, Frankfurt/Main 1993.
Thomas Hartnagel: Fritz Hartnagel. Damit wir uns nicht verlieren. Briefwechsel 1937- 1943, Frankfurt/Main 2005.
Mascha Riepl-Schmidt: Elisabeth Hartnagel, geb. Scholl (1920-2020). Eine Würdigung der Schwester von Sophie und Hans Scholl (https://www.lpb-bw.de/2020-frauen-im-fokus).
Bildquellen: Fotos privat
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt

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