18.
März:
Lisette Hatzfeld (1823 – unbekannt)
Mannheimer 1848erin – Vorbild oder „liederliche Frau“?
Elisabetha Franziska Hatzfeld, genannt Lisette, wurde am 18. März 1823 in Mannheim als eines von neun Kindern der Eheleute Juliane Hatzfeld (geb. Groß) und Christian Ludwig Hatzfeld geboren. Ihre Mutter starb bereits 1837, der Vater im Jahre 1841. Es ist nicht bekannt, womit Lisette und ihre Geschwister nach dem Tod des Vaters ihren Lebensunterhalt bestritten. Der Familienbogen weist lediglich aus, dass Lisette oft ihren Wohnort, meist am den Armen vorbehaltenen Stadtrand gelegen, wechselte und dass sie 1843 Mutter eines unehelichen Kindes wurde, das bereits 1847 verstarb.
Mannheim war eine Hochburg der Revolution 1848/49, die wie auch andernorts von vielen Frauen begeistert unterstützt wurde. So nahmen an einer Bürgerversammlung am 27. Februar 1848 zahlreiche Frauen teil; viele reisten mit der 600-köpfigen Delegation mit, die am 1. März 1848 per Eisenbahn die von der Versammlung verabschiedeten Forderungen nach Pressefreiheit, Einrichtung von Schwurgerichten, Volksbewaffnung und einem deutschen Nationalparlament nach Karlsruhe überbrachten. Bei der Abfahrt verteilte die Mannheimerin Amalie Struve mit einer Freundin selbst angefertigte Rosetten in den (verbotenen) Farben Schwarz-Rot-Gold. Und es entstanden republikanische Frauenvereine – Concordia und Germania – zur Unterstützung der Revolution.
Auch Frauen aus den „unteren Schichten" erwiesen sich als Unterstützerinnen der Revolution; allerdings beteiligten sie sich meist an spontanen Protestformen. So war auch Lisette Hatzfeld dabei, als am 26. April 1848 im Gefolge von Zusammenstößen zwischen Soldaten und Handwerksgesellen Menschen zusammenströmten; es entwickelten sich tumultartige Auseinandersetzungen. An der Schiffbrücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen kam es schließlich zum Schusswechsel mit bayerischen Truppen und zum Barrikadenbau durch die Bevölkerung.
Nach diesen Ereignissen berichtete die Mannheimer Abendzeitung anerkennend von einer Frau, die unter dem anhaltenden Gewehrfeuer furchtlos beim Bau der Barrikade half und manchem Mann zum Vorbild dienen könne. Amand Goegg schreibt in seinen „authentischen Aufschlüssen" über die Badische Revolution von einer Frau, die „eine schwarz-roth-goldene Fahne unter dem Feuer der Bayern aufpflanzte". Und in den Erinnerungen des Mannheimer Konditors und Gemeinderats Carl Hoff heißt es: „Die lüderliche Tochter unseres ehrenwerthen Schusters H. [...] hatte beim ‚Brückensturm‘ die schwarz-roth-gelbe Fahne getragen".
Diese Schusterstochter war Lisette Hatzfeld, die als einzige Frau aus einer umfangreichen Personengruppe nach den Ereignissen wegen „Theilnahme am Aufruhr" zu einer achtwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
In obigen Zeugnissen scheinen die zeitgenössischen Urteile über aktiv an der Revolution beteiligte Frauen auf: Sie wurden entweder als die Tapfersten stilisiert oder als „liederlich" abgewertet.
Offenbar war in Mannheim letztere Meinung über Lisette vorherrschend, denn es gelang ihr nach ihrem Gefängnisaufenthalt und dem Scheitern der Revolution nicht mehr, sich einen Lebensunterhalt zu verschaffen. Nach der Geburt eines zweiten unehelichen Kindes im Jahr 1853 beantragte sie, auf Stadtkosten nach Amerika auswandern zu dürfen. In der Auswandererkartei ist ihre bittere Aussage vermerkt: „Durch die bekannten unglücklichen Ereignisse der Jahre 1848 und 1849, wo ich einen großen Fehler begangen habe, habe ich alles Vertrauen verloren, und so stehe ich verlassen da, niemand gibt mir etwas zu verdienen." Die Auswanderung wurde am 19. Mai 1853 genehmigt, doch über ihren Verbleib und ihr Leben in Nordamerika ist nichts mehr bekannt.
Als Fahnenträgerin auf der Mannheimer Barrikade fand Lisette Hatzfeld aber Eingang in die Bilder aus der 1848er Revolution. Diese Bilder sind – wie viele andere im aufständischen Europa – in der Komposition angelehnt an das berühmte Gemälde von Eugène Delacroix „La liberté guidant le peuple" (Die Freiheit führt das Volk), das sich auf die Barrikadenkämpfe der Julirevolution 1830 bezieht.
Auf Initiative von Frauen wurde im Mai 2021 ein kleiner Platz im Mannheimer Stadtteil Almenhof nach Lisette Hatzfeld benannt. Bis dahin trug keine einzige Straße oder kein Platz in diesem den 1848er-Freiheitskämpfern gewidmeten „Taufbezirk" den Namen einer Frau.
Gerlinde Hummel-Haasis: Schwestern zerreißt eure Ketten. Zeugnisse der Frauen in der Revolution von 1848/49, München 1982
Frauen & Geschichte Baden-Württemberg u.a. (Hg.): Frauen und Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848, Tübingen 1998
Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte - Region Mannheim/Stadtarchiv Mannheim (Hg.): Vorwärts! Ist der Ruf der Zeit. Die Revolution 1848/49 in der Region Mannheim, Mannheim 1998
Arbeitskreis der Archive im Rhein-Neckar-Dreieck (Hg.): Der Rhein-Neckar-Raum und die Revolution von 1848/49. Revolutionäre und ihre Gegenspieler, Ubstadt-Weiher 1998
Bildquellen: Wilhelm Blos, Die deutsche Revolution. Geschichte der Deutschen Bewegung von 1848 und 1849. Illustriert von Otto E. Lau, Stuttgart [o. J.], S. 203.
MARCHIVUM, AB01612-07-077a
Autorin: Gabriele Pieri
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