10.
August:
Gehören Frauen auf den Denkmalsockel?
Auf sich verändernde Zeiten deutete 1877 ein erster Aufruf zur Stiftung eines Denkmals für die gerade verstorbene Ottilie Wildermuth in den „Neuen Bahnen", der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, an: „Wie bereit sind stets die Männer, die Talente und Verdienste ihres Geschlechtes in Erz und Marmor zu verewigen. Sollten wir uns nicht ebenso beeilen das Andenken einer Frau, die gleich ausgezeichnet durch Herzens wie Geisteseigenschaften eine Zierde unseres Geschlechtes gewesen ist, vor dem Vergessen zu bewahren?"
Bekannt geworden war die so Gerühmte durch eine Vielzahl von Schriften. Deren Titel lassen eher an biedermeierliche Behaglichkeit und pietistisch gefärbte Religiosität denken, als an ein neues weibliches Selbstverständnis oder gar an die finanzielle Unabhängigkeit der Autorin. Gerade die schillernden Facetten von Ottilie Wildermuths Werk und Biografie machten sie aber in breiten und nicht ausschließlich weiblichen Kreisen populär. Nicht von ungefähr erhielt die Wildermuth 1871 als erste Frau die württembergische „Große Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft", denn sogar im württembergischen Königshaus zollte man ihr Bewunderung.
Federführende Kraft der Denkmalsinitiative war Mathilde Weber, eine karitativ äußerst rege Tübinger Professorengattin und zudem frühe württembergische Anhängerin der bürgerlichen Frauenbewegung. Mit der Denkschrift „Ärztinnen für Frauenkrankheiten, eine ethische und sanitäre Notwendigkeit" ebnete sie 1887 den Weg zum Frauenstudium mit.
Wie Ottilie Wildermuth verstand es auch Mathilde Weber, für sich und ihre Ideen einzunehmen - und so der Denkmalinitiative nach Anlaufschwierigkeiten doch noch zum Erfolg zu verhelfen. Zwar verkündet bis heute die Inschrift auf dem Denkmalsockel: „Ottilie Wildermuth gewidmet von deutschen Frauen 1887". Zur Realisierung trugen jedoch letztendlich insbesondere Spenden aus dem weitgespannten und häufig miteinander verwandten schwäbischen Bildungsbürgertum bei. Im Umfeld der bürgerlichen Frauenbewegung fand der Tübinger Aufruf dagegen nur verhalten Anklang.
Woher diese Zurückhaltung kam, darauf deutet abschließend nochmals die Lektüre der „Neuen Bahnen" hin. Deren Bericht über die Denkmalsenthüllung erwähnte auch Vorbehalte gegen das Projekt. Manche fragten sich, so ist dort zu lesen, „ob es angemessen sei, gerade einer Frau ein solch steinernes Denkmal zu setzen". Damit war indirekt die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob es anderer Formen bedürfe, um weibliche Leistungen zu würdigen und in der Erinnerung wach zu halten. Mit Blick auf die dürftige Repräsentanz von Frauen in der Denkmallandschaft scheint die Antwort letztendlich eindeutig ausgefallen zu sein. In jüngster Zeit regte nun beispielsweise die Künstlerin Frauke Beeck mit ihrer Aktion „Zwei oder drei Frauendenkmäler sind nicht genug" zur erneuten Diskussion an.
Sybille Oßwald-Bargende/Ute Scherb, Frauen auf dem Denkmalsockel, in: Momente (2005), S. 28-31
Sybille Oßwald-Bargende, Denkmäler von Frauen für Frauen. Solitäre in der Erinnerungslandschaft des Wilhelminischen Kaiserreichs, in: Ariadne (2006), S. 16-23.
Dies., Ein Denkmal für Ottilie Wildermuth. Traditionsstiftung und bürgerliche Frauenbewegung, in: Eroberung der Geschichte. Frauen und Tradition, hg. von R. Johanna Regnath, Mascha Riepl-Schmidt und Ute Scherb (Gender-Diskussion Bd. 3), Hamburg 2007, S. 185-198.
Bildquellen:
Das Wildermuth-Denkmal um 1900, Fotografie von Hermann Bauer, Fotosammlung des Stadtarchiv Tübingen
Spraybild von Frauke Beeck, https://www.frauke-beeck.de/de/frauendenkmale-1.html
Autorin: Sybille Oßwald-Bargende
Veröffentlichungsdatum: 09.08.2022
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