24. August: Helene Schoettle, geb. Osswald (1903–1994)
Stuttgarter Kommunalpolitikerin


Helene Schöttle
Eine charakteristische Lebenshaltung der Kommunalpolitikerin und langjährigen SPD-Stadträtin im Stuttgarter Gemeinderat (1951–1975) Helene Schoettle kann mit zwei Worten - Hilfe und Sorge für andere - beschrieben werden.
Sie wurde am 19. April 1903 im heutigen Stuttgarter Vorort Münster als Älteste von drei Mädchen geboren und stammt aus einer Familie, die um ihre wirtschaftliche Existenz zu kämpfen hatte. Der Vater Hans Osswald, war Schlosser und wurde nicht eingestellt, weil er wegen seiner Gewerkschaftszughörigkeit auf einer der sogenannten schwarzen Listen stand, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen demonstrierte und Streiks mitmachte. Die Mutter, Katharina Osswald, arbeitete als Austrägerin der „Schwäbischen Tagwacht".
Helene muss früh mitarbeiten. Schon mit zehn Jahren trägt sie Zeitungen aus. Sie geht sieben Jahre zur Schule, 1917 hat sie Jugendweihe. Die Familie war 1908 aus der Kirche ausgetreten, weil sie die als Herrschaftsinstrument des Staates ablehnt und weil sie gegen die Arbeiterschaft agiere. Noch im selben Jahr fängt Helene als Fabrikarbeiterin ihr Berufsleben an. Trotz des Neun-Stunden-Tags belegt sie bald zur kaufmännischen Weiterbildung Früh- und Spätkurse an der städtischen Handelsschule Stuttgart. Das Geld dafür verdient sie selbst:18 Mark pro Woche.
Die Kriegs- und Nachkriegszeiten sind voller Entbehrungen, schärfen aber auch ihr politisches Engagement. Gesellschaftliche Umwälzungen, die wie der 9. November 1918 eine große Hoffnung auf Besserung in sich tragen, begeistern das junge Mädchen. Mit ihren Freunden gründet sie die Gruppe der sozialistischen Arbeiterjugend in Münster. Hier erhält Helene in Wochenendseminaren und Vortragsabenden den Grundstock ihrer Allgemeinbildung und Geschichtskenntnisse.
Um 1925 beginnt sie mit ihrer Arbeit in der Frauengruppe der SPD in Stuttgart-Münster. Dieser frauenpolitischen Arbeit ist sie ihr Leben lang in den verschiedensten Gremien treu geblieben.
Seit 1919 arbeitete sie in der Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiterverbands Stuttgart und bleibt dort bis zur Heirat 1925 mit ihrem Gesinnungsgenossen und späteren langjährigen (1953-1972) Bundestagsabgeordneten Erwin Schoettle (1899-1976). Als die Tochter Doris (1928-1988) geboren wird, ist die Familie komplett.
Erwin Schoettle ist damals Verlagssekretär der Schwäbischen Tagwacht. Auch er ist seit seiner Jugend bei der SPD. Bald wird er von den Nazis steckbrieflich gesucht. Seine erste Fluchtstation ist die Schweiz, wohin ihm Helene und Doris später folgen können. Helene trägt zur Ernährung mit „illegaler" Arbeit: mit Stricken, Putzen, Waschen und Kinderhüten bei. Doch bald bietet auch die Schweiz keine Garantie mehr, nicht verfolgt zu werden. Vier Tage vor Kriegsbeginn gelingt es der Familie mit dem Schiff von Calais nach Dover auszureisen. Sie kann ab 1939 in London leben. Erwin Schoettle arbeitet in der sozialistischen Exilgruppe „Neu beginnen" und wird nach monatelanger Internierung der Familie auf der Insel Man Radiosendungen der BBC für deutsche Arbeiter und Kriegsgefangene betreuen. Helene arbeitet in einer Taschenlampenfabrik für drei Pfund die Woche.
Helene Schoettle kandidiert nach der Rückkehr 1946 zum ersten Mal 1950 für den Stuttgarter Gemeinderat und wird gewählt. Fast 25 Jahre lang hat sie diese kommunalpolitische Arbeit ausgeübt. In drei Wahlen erringt sie die höchste Stimmenzahl. Sie sieht darin den Dank für ihre Arbeit. Der Sozialausschuss ist für sie das Gremium, um Not zu lindern und soziale Missstände zu beseitigen. Bei der Arbeiterwohlfahrt Stuttgart arbeitet sie ebenfalls mit und wird 1947 in den Vorstand gewählt, dem sie bis 1973 treu bleibt. 1960 wird die unprätentiös Engagierte Mitbegründerin des Vereins „Lebenshilfe für geistig Behinderte", dessen Vorstand sie fünfzehn Jahre lang angehört.
Dass sie 1983 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1993 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg erhält, freut sie. Dass sie Patin des Heslacher Tunnels wird, bestätigt sie als langjährige Vorsitzende des Heslacher Blaustrümpfler Altenklubs.
Am 24. August 1994 ist Helene Schoettle in Stuttgart gestorben. Auch in schwierigen Lebenssituationen und trotz herber persönlicher Schicksalsschläge hat sie stets versucht, einen gesunden Maßstab dafür zu bewahren, was gerecht und verdient ist.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Maja (d.i. Mascha) Riepl-Schmidt, Helene Schoettle, geborene Osswald, Hilfe und Sorge für andere, in: Maja (d.i. Mascha) Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800, Stuttgart/Tübingen 19982, S. 285-290.
Bildquelle: Mascha Riepl-Schmidt
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt
Veröffentlichung: 23.08.2022

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