17. August: Ingeborg Nikitopoulos (1941–2017)
Die Unbequeme. FDP-Politikerin und Mitbegründerin des Mannheimer Autonomen Frauenhauses


Wahlplakat Nikitopoulos zur Mannheimer Gemeinderatswahl, 1984
Ingeborg Nikitopoulos war eine im besten Sinne sozialliberale Politikerin, die sich energisch für die Schaffung der Stelle einer Frauenbeauftragten in Mannheim einsetzte. Sie war Gründungsmitglied von Pro Familia Mannheim und trug maßgeblich zur Gründung des Mannheimer Autonomen Frauenhauses bei.

Ingeborg Nikitopoulos wurde am 17. August 1941 in Berlin-Wilmersdorf als erstes Kind von Magdalena Linnemann, geb. Mandel, und dem Kaufmann und Geschäftsführer Josef Linnemann geboren. Nach dem Krieg zog die Familie nach Mannheim, wo sich die Eltern kennengelernt hatten. Dort besuchte Ingeborg die Grundschule und anschließend das Liselotte-Gymnasium. 1956 wechselte sie auf ein Schweizer Internat. Diskussionen innerhalb der international zusammengesetzten Schüler*Innenschaft waren Anstoß zu ihrer Politisierung, wie sie selbst erzählte. Nach ihrem Abitur an der Liebfrauenschule in Bensheim studierte sie ab 1960 in Heidelberg zunächst Kunstgeschichte, wechselte dann aber zu Politikwissenschaft, Völkerrecht sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1970 promovierte sie mit einer Arbeit zum Thema „Selbstbestimmungs-
recht der Völker am Beispiel Zypern".
1969 heiratete sie Pantelis Nikitopoulos, einen Gegner der griechischen Militärjunta. 1971 kam der gemeinsame Sohn Jörg zur Welt. Im gleichen Jahr begann Ingeborg Nikitopoulos als freiberufliche Dozentin in der Erwachsenenbildung zu arbeiten. In diesem Bereich war sie bis zu ihrem Tod im September 2017 tätig.
Der FDP war sie 1968 beigetreten. Ausschlaggebend dafür waren für sie die Ablehnung der Notstandsgesetzgebung und der großen Koalition. 1974 wurde sie stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands der FDP und 1975 zog sie für diese in den Mannheimer Gemeinderat ein, in dem die Partei drei Jahre nicht mehr vertreten gewesen war. Sie blieb bis 1994 für die FDP im Gemeinderat, obwohl sie auch innerhalb ihrer Partei oft gegen den Strom schwamm. 1982 legte sie aus Protest gegen den Koalitionswechsel in Berlin ihre Ämter im Landesvorstand der baden-württembergischen FDP nieder. Den Landesverband hatte sie in der FDP-Bundeskommission Gleichberechtigung und Familie vertreten.
Ihr ausgeprägtes sozialliberales Profil zeigte sich in ihrer Arbeit auf kommunaler Ebene. Sie engagierte sich in der Jugendpolitik, der Kultur- und Bildungspolitik und trat für die Beteiligung „ausländischer" Einwohner bei der politischen Willensbildung im kommunalen Bereich ein. Dies fußte auf ihrem Verständnis von Demokratie, wie sie in einer Rede von 1983 formulierte: "Demokratie heißt letztlich, Beteiligung der Betroffenen an den sie betreffenden Entscheidungen."
Ihr Werben für eine liberale Ausländerpolitik brachte ihr hasserfüllte Drohbriefe ein. („Im übrigen (sic!), warum gehen Sie mit Ihrem Mann nicht nach Griechenland, oder gar in die Türkei?") Innerhalb der FDP war sie in den 1980ern zunehmend umstritten. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete 1984, Nikitopoulos werde der Vorwurf gemacht, ständig mit „Chaoten und Kommunisten" zu stimmen, was sich u.a. wohl auf ihren Einsatz für das Jugendzentrum in Selbstverwaltung bezog.
Gleichstellungs- und Frauenpolitik waren Ingeborg Nikitopoulos ein besonderes Anliegen. Im Mannheimer Gemeinderat war sie neben den Grünen die treibende Kraft für die Schaffung der Stelle einer Frauenbeauftragten in Mannheim, die schließlich 1987 eingerichtet wurde. Durch ihr Engagement und ihre Initiative trug sie maßgeblich dazu bei, dass 1981 ein autonomes Haus für geschlagene und misshandelte Frauen eröffnet werden konnte. Sie gehörte dessen Trägerverein (Mannheimer Frauenhaus e.V.) an. Auch bei der Gründung von Pro Familia Mannheim 1976 wirkte Nikitopoulos entscheidend mit.
Anlässlich ihres 75. Geburtstages notierte der Mannheimer Morgen: „Ob in ihrer Partei oder im Gemeinderat: Bequem war sie nie. Aus Protest legte die Politologin ein Vorstandsamt nieder und stellte Wortmeldungs-Rekorde auf. Eines Tages verlieh ihr der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Varnholt gar ein ‚mechanisches Anzeigeerleichterungsgerät‘."
1994 zog sie sich aus der Kommunalpolitik zurück, blieb aber weiter ehrenamtlich engagiert, etwa im Förderkreis der Stadt- und Musikbücherei oder bei den Freunden des Nationaltheaters. Ingeborg Nikitopoulos starb am 11. September 2017 im Alter von 76 Jahren.

Weiterführende Literatur und Quellen:
Zeitungsartikel:
Mannheim Illustriert, Juli 1979: Dr. Inge Nikitopoulos, F.D.P.: Nicht graue Theorie, sondern Engagement
Mannheimer Morgen, 13.01.1999: Starke Streiterin mit dem Herzen auf dem rechten Fleck
Mannheimer Morgen, 16.09.2017: Trauer um eine Kämpferin mit Herz
Nachlass von Ingeborg Nikitopoulos im MARCHIVUM:
https://www.marchivum.de/de/blog/der-nachlass-von-ingeborg-nikitopoulos
Eintrag Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg_Nikitopoulos
Bildquelle: MARCHIVUM, PK06266
Datum: 16.08.2024
Autorin: Gabriele Pieri

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