21. September: Erna Scheffler (1893 – 1983)
Juristin, erste Richterin am Bundesverfassungsgericht, Pionierin bei der Durchsetzung des Artikel 3. 2. des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.


Erna Scheffler
Am 21. September 1893 kam Erna Scheffler, geborene Friedenthal, in Breslau auf die Welt. Sie war eine der ersten Juristinnen, die den Weg in den Staatsdienst schafften, und wurde 1951 als einzige Frau neben 23 Richterin an das Bundesverfassungsgericht berufen. Sie blieb dies auch bis zu ihrer Pensionierung 1963.
Bis zu ihrer Berufung ans Bundesverfassungsgericht lag schon ein durch zahlreiche Diskriminierungen gezeichneter Lebensweg hinter ihr. Nach ihrem Abitur 1911 als Externe an einem Knabenrealgymnasium studierte sie Jura und beendete 1914 das Studium in Breslau mit einer Promotion. Als Frau durfte sie das erste und zweite Staatsexamen nicht ablegen. In der Zeit der Weimarer Republik holte sie dies nach und wurde Rechtsanwältin in Berlin, bevor sie mit 35 Jahren - vorher konnten Frauen nicht in den Beamtendienst - 1928 in den preußischen Justizdienst ging und ab 1932 als Amtsgerichtsrätin wirkte. 1933 wurde sie als Frau und wohl auch als „nicht-arisch" angesehener Mensch - ihre Großeltern väterlicherseits waren vom Judentum zum evangelischen Glauben konvertiert - entlassen und bis 1945 mit Berufsverbot belegt.
Sie hatte in erster Ehe eine Tochter geboren, die sie nach der Scheidung allein großzog und die 1937 für ein Medizinstudium nach England ging, das ihr in Deutschland wegen ihrer Herkunft nicht möglich war. In dieser Zeit hatte sich Erna Scheffler schon mit dem Kammergerichtsrat Georg Scheffler verbunden, den sie als „nicht rein arisch" 1934 nicht heiraten durfte. Erst 1945 schlossen sie offiziell die Ehe und lebten bis zu seinem Tod in einer sehr harmonischen Beziehung. Nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kehrte Scheffler zurück in die Gerichtsbarkeit, zunächst als Landesverwaltungsrichterin in Berlin, später als Verwaltungsdirektorin in Düsseldorf, bis sie im September 1951 ans Karlsruher Bundesverfassungsgericht ging. Sie gehörte dem 1. Senat an, zuständig für Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollverfahren. Nachdem ihr Mann am 9. Januar 1952 Richter am Karlsruher Bundesgerichtshof geworden worden war, zog das Paar in das heute nach Karlsruhe eingemeindete Wolfartsweier.
Dass man auf sie aufmerksam geworden war, lag an einem Vortrag, den sie 1950 beim Deutschen Juristentag in Frankfurt darüber gehalten hatte, wie das damals noch geltende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 in Einklang gebracht werden konnte mit Art. 3.2. des GG. Das BGB von 1900 stellte die verheiratete Frau unter die Vorherrschaft ihres Ehemannes. Scheffler bewertete in ihrem Vortrag eine Vielzahl an gesetzlichen Regelungen als verfassungswidrig und schlug verfassungskonforme Lösungen vor. Manche ihrer Vorschläge wie z. B. zum Namensrecht sollten erst nach Jahrzehnten umgesetzt werden.
Obwohl das GG in Art 117 festgelegt hatte, dass alle Gesetze bis 1953 so überarbeitet sein mussten, dass sie dem Art. 3. 2. GG entsprachen, beschloss der Bundestag erst 1957 ein neues Gesetzwerk, das allerdings immer noch den väterlichen Stichentscheid bei Erziehungsfragen beinhaltete. Dagegen erhob sich ein vielstimmiger Protest der Frauenverbände, die erreichten, dass vier Mütter Verfassungsbeschwerde einlegten und ein Vormunds- und ein Zivilrichter eine Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Erna Scheffler war Berichterstatterin und durfte, da der zuständige Präsident erkrankt war, schließlich verkünden, dass dieser Artikel verfassungswidrig ist. Sie soll dabei gelächelt haben.
Wiederholt betrafen Entscheidungen des 1. Senats, an denen sie beteiligt war, die gesetzliche Umsetzung des Art 3. 2., aber auch z. B. die Meinungsfreiheit. Wie sehr Scheffler die kollektiv getroffenen Entscheidungen beeinflusst hat, lässt sich nur vermuten, da das Gericht der richterlichen Schweigepflicht unterliegt. In den Reden bei der Trauerfeier für sie im Juni 1983 in Wolfartsweier wurden jedoch vor allem ihr unermüdliches Eintreten für die Gleichberechtigung der Geschlechter und ihre sachliche Unerbittlichkeit bei gleichzeitiger Güte betont.
Im Privatleben liebte sie neben dem Klavierspielen die Literatur sowie das Einkochen von Marmelade und führte mit ihrem Ehemann ein geselliges Haus. Nach ihrer Pensionierung wirkte sie prägend im Juristinnenbund und vor allem im Deutschen Akademikerinnenbund. Sie war Gründungspräsidentin des Karlsruher Clubs Soroptimist International, der seit 1996 im Bundesverfassungsgericht alle zwei Jahre den Erna-Scheffler-Förderpreis an junge Wissenschaftlerinnen vergibt. Seit 2006 ist eine Straße in Karlsruhe nach ihr benannt.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Erhard H.M. Lange, Dr. Erna Scheffler, geb. Friedenthal (1893 - 1983). Eine Breslauerin - erste Richterin am Bundesverfassungsgericht; in: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau XLII-XLIV (2001 - 2003), S. 521 - 577
Renate Jaeger, Erna Scheffler; in: Juristinnen in Deutschland. Die Zeit von 1900 bis 2003, hg. vom Deutschen Juristinnenbund e.V. 2003, S. 197 - 202
Marike Hansen, Erna Scheffler (1893 - 1983). Erste Richterin am Bundesverfassungsgericht und Wegbereiterin einer geschlechtergerechten Gesellschaft, Tübingen 2019
Enora Moseku/Beate Dörr, Erna Scheffler, geb. Friedenthal (1893-1983). Erste Richterin am Bundesverfassungsgericht u. Kämpferin für Geschlechtergerechtigkeit, September 2021, online: https://www.lpb-bw.de/erna-scheffler-frau-im-fokus (Zugriff 20.7.2023).

Foto: Archiv Soroptimist International Club Karlsruhe

Datum: 21.09.2023

Autorin: Susanne Asche

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