10. Juni: Hanna Nagel (10.06.1907 – 15.05.1975)
Grafikerin und Malerin

Sie gilt als eine Pionierin feministischer Kunst. Ihre Werke werden seit 15 Jahren wieder neu entdeckt und haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Eine biografische Annäherung zur Erinnerung an die Grafikerin und Malerin Hanna Nagel.
Geboren am 10. Juni 1907 als ältestes Kind des Großkaufmanns Johannes Nagel und seiner Frau Bertha, einer ehemaligen Lehrerin, erhielt Hanna Nagel schon früh Zeichenunterricht. Sie war Linkshänderin, wurde allerdings in der Schule auf die rechte Hand umgewöhnt - künstlerisch arbeitete sie dennoch mit der linken Hand. Nach einer Buchbinderlehre studierte sie ab 1925 Lithografie und Grafik an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe bei Wilhelm Schnarrenberger, Hermann Gehri und Karl Hubbuch. Später wechselte sie zu Walter Conz und erhielt ein eigenes Atelier als Meisterschülerin in der Radierklasse. 1929 ging sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Maler Hans Fischer, an die Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin und wurde Meisterschülerin bei Emil Orlik. Zwei Jahre später heiratete sie und schloss kurz darauf ihr Studium ab.
1933 erhielt sie als vierte Frau den renommierten Rompreis der Akademie, ein Stipendium für einen zehnmonatigen Aufenthalt in der Villa Massimo. 1936 gewann ihr Mann Hans Fischer ebenfalls diesen Preis, sodass sie sich erneut dort aufhalten und Nazideutschland für eine Weile entkommen konnte.
Während des Nationalsozialismus wandelte sich ihr Stil immer mehr zu Traumwelten hin, die den Nazis keinen Anlass boten, sie als „entartete Künstlerin" zu brandmarken, wenngleich ihr kritisches, feministisches Frühwerk nicht mehr ausgestellt wurde. Erst nach ihrem Tod entdeckte ihre Tochter ihre frühen Zeichnungen auf dem Dachboden.
Zwar war Hanna Nagel Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste und auf zahlreichen Ausstellungen zwischen 1933 und 1945 vertreten, beispielsweise der Ausstellung „Deutsche Frauenkunst der Gegenwart" 1936 in Mannheim, doch verweigerte sie sich einer radikalen Anpassung ihres Stils und verfolgte stets ihre eigene Agenda. Zeit ihres Lebens setzte sie sich mit den Dynamiken von Macht, Gewalt und Dominanz zwischen Mann und Frau, der Rolle als Künstlerin, Frau und Mutter auseinander und schreckte dabei auch vor drastischen Darstellungen nicht zurück. Besonderes Augenmerk erhielt in ihrem Frühwerk die Beziehung ihres Lehrers Karl Hubbuch zu seiner Schülerin und späteren Frau Hilde Isai, die oft parallel oder kontrastierend mit ihrer eigenen Beziehung zu ihrem Künstlerkollegen Hans Fischer dargestellt wurde.
1938 wurde die gemeinsame Tochter Irene geboren und Hans Fischer kurz darauf zum Kriegsdienst eingezogen. Hanna Nagel musste nun die Familie allein versorgen, nahm dazu Auftragsarbeiten an, illustrierte Bücher und schrieb Reportagen. Nach der Rückkehr ihres Mannes aus der Kriegsgefangenschaft 1947 trennte sich das Paar und sie blieb alleinerziehende Mutter, die ständig von Geldsorgen geplagt war, da sie zusätzlich auch ihre eigene Mutter versorgen musste. Zudem litt sie an einer Krankheit in der linken Hand, was sie dazu zwang, nach einer Armoperation das Zeichnen mit der rechten Hand zu erlernen.
Da sie sich nie mit der Abstraktion als künstlerischem Ausdruck anfreunden konnte, verlor sie den Anschluss an die Kunstwelt der Nachkriegszeit, die von abstrakter Kunst geprägt war. Zwar gab es kleinere Ausstellungen, doch den Anschluss an ihre großen Ausstellungen der zwanziger und dreißiger Jahre fand sie nicht mehr. Hanna Nagel verstarb im Alter von nur 67 Jahren 1975 an einem Krebsleiden in ihrem Geburtsort Heidelberg.
Zwar blieb ihr die ganz große Karriere zu Lebzeiten verwehrt, doch ihr Werk wird bis zum heutigen Tag immer wieder ausgestellt - es hat nichts von seiner Aktualität und seiner Kraft verloren, die Themen, die sie behandelt, sind nach wie vor relevant. 1998 richtete die Stadt Karlsruhe den Hanna-Nagel-Preis ein, der bis heute von einer Frauenjury an eine Künstlerin „über vierzig Jahre" vergeben wird. 2022 zeigte die Kunsthalle Mannheim eine große Retrospektive über ihr neusachliches Frühwerk, zu der ein umfangreicher Katalog erschien.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Ulrika Evers: Deutsche Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Malerei - Bildhauerei - Tapisserie, Hamburg: Ludwig Schultheis Verlag 1983, S. 245-247
Inge Herold/Johan Holten (Hg.): Hanna Nagel (1907 - 1975), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2022
Verein der Berliner Künstlerinnen (Hg.): Käthe, Paula und der ganze Rest, Berlin 1992, S. 115
Kurzes Video zur Eröffnung der Hanna-Nagel-Ausstellung der Kunsthalle Mannheim 2022:
https://www.rnf.de/mediathek/video/feministische-pionierin-kunsthalle-mannheim-eroeffnet-hanna-nagel-ausstellung/
Biografie des Verborgenen Museums Berlin: https://www.dasverborgenemuseum.de/kuenstlerinnen/nagel-hanna (zuletzt abgerufen am 06.06.24)
https://www.kuma.art/de/ausstellungen/hanna-nagel (zuletzt abgerufen am 06.06.24)
Autorin: Ruth Oeler
Datum: 10.06.2024

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