23. Juni: Die erste SPD-Frauenkonferenz in Baden - 23. Juni 1912


Arbeiterinnen der „Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik“ in Karlsruhe anlässlich eines Besuchs des Großherzogs Friedrich I. im Mai 1895
Obwohl die Sozialdemokratie lange Zeit als einzige politische Partei das Frauenwahlrecht forderte, spielte für sie bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Frage der Geschlechterverhältnisse nur eine nachrangige Rolle. Es bedurfte zahlreicher Diskussionen und Parteitage, bis die SPD einer Frauenorganisation in ihren Reihen zustimmte. Die erste Badische SPD-Frauenkonferenz in Karlsruhe war ein deutliches Zeichen des Erstarkens der sozialdemokratischen Frauenbewegung im Großherzogtum Baden.

Am 23. Juni 1912 fand die erste badische SPD-Frauenkonferenz in Karlsruhe statt, über die im „Volksfreund", der badischen Zeitung der SPD, ausführlich berichtet wurde.
Es trafen sich 26 Frauen als Delegierte aus allen Teilen Badens ab 11 Uhr im Gasthaus „Auerhahn" in der Schützenstraße. Vom Berliner Parteivorstand war Luise Zietz anwesend, die gerade eine „Agitationstour" in Baden unternahm. Es kamen je fünf Frauen aus Mannheim und Karlsruhe, jeweils vier aus Pforzheim und Hockenheim, drei aus Durlach und jeweils eine aus Freiburg, Offenburg, Lörrach und Schopfheim.
Vom badischen Landesvorstand war der Mannheimer „Genosse Strobel" anwesend, der die Konferenz leitete, die zwei Tagesordnungspunkte hatte: „1. Wie bilden wir die Frauen für die politische Tätigkeit. 2. Diskussion." Als Beisitzerinnen wurden Therese Blase aus Mannheim und Kunigunde Fischer aus Karlsruhe gewählt.
Nun folgte ein 1½-stündiges Referat von Luise Zietz über die Notwendigkeit einer politischen Betätigung der Frauen und dass die Frau Interesse am Staatsleben und den aktuellen politischen Fragen haben müsse. Zu gewinnen seien die Frauen durch Versammlungs- und Hausagitation, die praktische Schulung der gewonnenen „Genossinnen" geschehe durch alle Arbeiten der Gesamtpartei. Die theoretische Schulung erfolge vor allem durch Parteiversammlungen, lediglich ergänzt durch Diskussions- und Leseabende. Möglich sei auch die Mitarbeit in der Gemeinde und in Kinderschutzkommissionen.
Bei der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, wie mehr Frauen für die aktive SPD-Parteiarbeit gewonnen werden könnten. Gefordert wurde, dass die Männer hin und wieder zu Hause bleiben sollten, damit ihre Frauen an Versammlungen teilnehmen können. Damit griffen die Delegierten ein Thema auf, das auch vielfach im „Volksfreund" benannt wurde: die spezifische Ausbeutung, die die Arbeiterfrau in der Familie erlebte, da sie häufig hinter den Bedürfnissen ihres Mannes und der Kinder zurücksteckte.
Es wurde die Bildung einer Agitationskommission beschlossen. Zudem einigte man sich auf die Einführung von Zusammenkünften der aktiven Genossinnen der einzelnen Kreise, um Erfahrungen auszutauschen. Diese Beschlüsse wiesen ganz klar auf eine verstärkte eigenständige Organisationsarbeit hin. Zudem diskutierten die Delegierten über einen Antrag an den badischen Parteitag, dass künftig eine Frau im Landesvorstand vertreten sein solle. Therese Blase schlug vor, nur zu beantragen, dass zukünftig eine Frau zum Landesvorstand hinzugezogen werde, wenn es um für Frauen wichtige Fragen ginge. Der anwesende Genosse Dietrich allerdings ermutigte die Frauen, den Antrag auf Mitwirkung einer Frau im Landesvorstand zu stellen. Strobel erklärte sich bereit, auf seinen Vorstandsposten zu verzichten, damit eine Frau aufgenommen werden könne, ohne dass die Zahl der Vorstandsmitglieder erhöht werden müsse. Daraufhin wurde beschlossen, den Antrag auf dem Parteitag zu stellen, der dann später auch angenommen wurde. Von 1912 bis 1933 war Therese Blase die einzige Frau im Landesvorstand der SPD.
Weiter wurde über den Antrag der Mannheimerin Linda Kehl diskutiert, dass in der sozialistischen Presse - wie in der bürgerlichen - wöchentlich einmal im Feuilleton Fragen der Frauenbewegung aufgegriffen werden sollten. Luise Zietz begrüßte die Aufnahme von Frauenthemen, war aber gegen die Einführung einer Rubrik, da die Frauen dann nur diese lesen würden. Der Redakteur Winter aus Karlsruhe wies darauf hin, dass solche Artikel bereits erschienen und lehnte eine Rubik auch ab. Der Antrag wurde daraufhin zurückgezogen.
Ebenso zurückgezogen wurde nach einer Diskussion der Antrag der Mannheimer Delegierten Mössinger, eine Sekretärinnenstelle für Baden zu schaffen, da sowohl Luise Zietz als auch Herr Strobel dafür noch zu wenige SPD-Frauen sahen.
Gegen 17:30 Uhr schloss Strobel die erste badische Frauenkonferenz.
Der 23. Juni 1912 steht für den Beginn eines konsequenten Aufbaus einer eigenen badischen SPD-Frauenorganisation, die in den kommenden Jahren vor allem Fragen des weiblichen Lebens aufgriff und damit zwar einer eher traditionellen Frauenrolle innerhalb der Partei verbunden blieb, aber dennoch eigene Handlungsspielräume und Wirkmöglichkeiten eröffnete.

Weiterführende Literatur und Quellen:

Der Volksfreund vom 25. Juni 1912
Richard J. Evans: Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, Berlin/Bonn 1979
Barbara Guttmann: Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918, Weinheim 1989, S. 111-114
Susanne Asche: Fürsorge, Partizipation und Gleichberechtigung - die Leistungen der Karlsruherinnen für die Entwicklung zur Großstadt (1959-1914, in: Karlsruher Frauen 1715-1945. Eine Stadtgeschichte, Karlsruhe 1992, S. 245-249
Bildquelle: Stadtarchiv Karlsruhe StadtAK 8/PBS XI 194
Autorin: Susanne Asche
Datum: 23.06.2022

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