28.
Dezember:
Elisabeth Aline Dorothea Daur, geb. Dipper (1899–1991)
Stuttgarter Stadträtin, Friedensarbeiterin
Die am 26. Februar 1899 in Altenburg/Tübingen als Elisabeth Aline Dorothea Dipper in einem Pfarrhaushalt Geborene hat hochbetagt ihre 38-seitigen maschinengeschriebenen „Erinnerungen der Neunzigjährigen" verfasst. Es ist ein humorvoll nachdenkliches und kritisch unaufgeregtes Zeitzeugnis.
Wie ihrem zwei Jahre älteren Bruder Eugen wurde ihr selbst und ihren beiden viele Jahre jüngeren Schwestern Margarete und Helene ganz gegen die damalige gesellschaftliche Tradition Bildung ermöglicht. Ihrem Vater (Karl) Eugen Dipper (1866-1951) war es wichtig, dass jede seiner Töchter eine Berufsausbildung erhielt. Ihre Mutter Ottilie Helene Sophie Dipper, geb. Steinheil (1871-1952), war wohl damit einverstanden.
Da Eugen Dipper 1903 als 2. Pfarrer nach Stuttgart in die Martinskirche berufen worden war, deren 1. Pfarrer Otto Umfrid (1857-1920) war, der Gründer der Deutschen Friedensgesellschaft, durfte Elisabeth in Stuttgart das Königin-Katharina-Stift besuchen. Da am Stift nur die Mittlere Reife abgelegt werden konnte, besuchte sie danach das 1899 von Gertrud Schwend-Üxküll gegründete private „Erste württembergische Mädchengymnasium" in Stuttgart mit humanistischem Abitur für Mädchen, das Königin-Charlotte-Gymnasium. Mit 19 Jahren bestand sie 1918 kurz vor dem Ende des 1. Weltkriegs die externe Abiturprüfung an einem Jungengymnasium, wie das für die kleine Zahl der zu examinierenden Schülerinnen üblich war.
Drei Monate lang unterrichtete sie danach als Hauslehrerin die drei Söhne Berthold, Alexander und Claus des Ehepaars Alfred Schenk Graf von Stauffenberg und Caroline, geb. Gräfin von Üxküll-Gyllenband, im Landschloss der Familie in Lautlingen. Elisabeth Daur vermittelt in ihren Erinnerungen ein bewegendes Bild der Stauffenberg-Üxküll-Familie und ihrem menschlichen Adel, den „die Brüder Klaus und Berthold später mit ihrem Leben und Sterben bewiesen haben."
1919 begann sie als zweite immatrikulierte Studentin einer evangelisch-theologischen Fakultät ihr Studium der Theologie in Tübingen. Nach einem Jahr brach sie es ab, um 1921 den damaligen Jugendpfarrer Rudolf „ Rudi" Daur (1892- 1976) zu heirateten. Eine andere Entscheidung war für sie undenkbar.
Der demokratische Aufbruch der Weimarer Republik war nicht von langer Dauer. Schon vor 1933 begann auch die Bespitzelung der Pfarrer, die Behinderung ihrer Tätigkeit, das Verbot der kirchlichen Jugendarbeit. Die Gefährdung der Eheleute Daur war immer gegenwärtig. Trotz vieler Verhöre und schriftlicher Kritik blieben sie frei.
1939 zog Elisabeth mit ihrem Mann in die Markusgemeinde Stuttgart, wo sie bis 1962 die Gemeinde betreuten. Der 1922 geborene Sohn Fritz Martin fiel an Weihnachten 1941 in Russland. Ihre Tochter Heidi Renate (1925-2021) studierte nach dem Krieg Musik und heiratete 1950 den Pfarrer Jörg Zink (1922-2016).
Das Friedensengagement der Eheleute wurde von der „Erfahrung der beiden leidvollen Kriege" bestimmt: „der erste hat ihm drei Brüder und mir den Jugendgeliebten, der zweite uns den Sohn genommen."
Elisabeth Daur stand stets an der Seite ihres Mannes, der als Mitglied des Deutschen Zweigs des Versöhnungsbundes außerdem in vielen Vereinigungen, die er mitbegründete, tätig war.
Nach dem Krieg schien Elisabeth Daur die Arbeit für Frieden und Versöhnung oft hoffnungslos, besonders dann, als Gustav Heinemanns Rücktritt aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ihr Ziel nicht erreichte. „Seiner 1952 gegründeten Protestpartei GVP (Gesamtdeutsche Volkspartei) trat ich damals sofort bei, was mich Jahre später zur Kommunalpolitik führte."
1956 wurde sie als Mitglied der GVP in den Stuttgarter Gemeinderat gewählt. Von 1956 bis 1968 arbeitete sie in diesem Gremium. Nach der Auflösung der GVP wurde sie Mitglied der SPD-Fraktion: „Meine Aufgaben hatte ich vor allem im Sozialausschuss, den verschiedenen Krankenhaus-, Jugendwohlfahrts- und Schulbeiräten und dem Theaterbeirat." Ab 1964 leitete sie in Stuttgart-Möhringen - hier wohnten die Familien Daur und Zink inzwischen - einen überparteilichen und überkonfessionellen Frauenkreis. Von 1968 bis 1975 war sie dazuhin in Möhringen Bezirksbeirätin: Ihr kommunalpolitisches Engagement und ihre Mitarbeit in der Friedensbewegung waren die Begründung für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande im Jahre 1980.
Elisabeth Daur starb am 28.12.1991. Verständigung, Toleranz und ihr fester Glaube ohne jegliches Dogma waren die Konstanten ihres Lebens.
Wie ihrem zwei Jahre älteren Bruder Eugen wurde ihr selbst und ihren beiden viele Jahre jüngeren Schwestern Margarete und Helene ganz gegen die damalige gesellschaftliche Tradition Bildung ermöglicht. Ihrem Vater (Karl) Eugen Dipper (1866-1951) war es wichtig, dass jede seiner Töchter eine Berufsausbildung erhielt. Ihre Mutter Ottilie Helene Sophie Dipper, geb. Steinheil (1871-1952), war wohl damit einverstanden.
Da Eugen Dipper 1903 als 2. Pfarrer nach Stuttgart in die Martinskirche berufen worden war, deren 1. Pfarrer Otto Umfrid (1857-1920) war, der Gründer der Deutschen Friedensgesellschaft, durfte Elisabeth in Stuttgart das Königin-Katharina-Stift besuchen. Da am Stift nur die Mittlere Reife abgelegt werden konnte, besuchte sie danach das 1899 von Gertrud Schwend-Üxküll gegründete private „Erste württembergische Mädchengymnasium" in Stuttgart mit humanistischem Abitur für Mädchen, das Königin-Charlotte-Gymnasium. Mit 19 Jahren bestand sie 1918 kurz vor dem Ende des 1. Weltkriegs die externe Abiturprüfung an einem Jungengymnasium, wie das für die kleine Zahl der zu examinierenden Schülerinnen üblich war.
Drei Monate lang unterrichtete sie danach als Hauslehrerin die drei Söhne Berthold, Alexander und Claus des Ehepaars Alfred Schenk Graf von Stauffenberg und Caroline, geb. Gräfin von Üxküll-Gyllenband, im Landschloss der Familie in Lautlingen. Elisabeth Daur vermittelt in ihren Erinnerungen ein bewegendes Bild der Stauffenberg-Üxküll-Familie und ihrem menschlichen Adel, den „die Brüder Klaus und Berthold später mit ihrem Leben und Sterben bewiesen haben."
1919 begann sie als zweite immatrikulierte Studentin einer evangelisch-theologischen Fakultät ihr Studium der Theologie in Tübingen. Nach einem Jahr brach sie es ab, um 1921 den damaligen Jugendpfarrer Rudolf „ Rudi" Daur (1892- 1976) zu heirateten. Eine andere Entscheidung war für sie undenkbar.
Der demokratische Aufbruch der Weimarer Republik war nicht von langer Dauer. Schon vor 1933 begann auch die Bespitzelung der Pfarrer, die Behinderung ihrer Tätigkeit, das Verbot der kirchlichen Jugendarbeit. Die Gefährdung der Eheleute Daur war immer gegenwärtig. Trotz vieler Verhöre und schriftlicher Kritik blieben sie frei.
1939 zog Elisabeth mit ihrem Mann in die Markusgemeinde Stuttgart, wo sie bis 1962 die Gemeinde betreuten. Der 1922 geborene Sohn Fritz Martin fiel an Weihnachten 1941 in Russland. Ihre Tochter Heidi Renate (1925-2021) studierte nach dem Krieg Musik und heiratete 1950 den Pfarrer Jörg Zink (1922-2016).
Das Friedensengagement der Eheleute wurde von der „Erfahrung der beiden leidvollen Kriege" bestimmt: „der erste hat ihm drei Brüder und mir den Jugendgeliebten, der zweite uns den Sohn genommen."
Elisabeth Daur stand stets an der Seite ihres Mannes, der als Mitglied des Deutschen Zweigs des Versöhnungsbundes außerdem in vielen Vereinigungen, die er mitbegründete, tätig war.
Nach dem Krieg schien Elisabeth Daur die Arbeit für Frieden und Versöhnung oft hoffnungslos, besonders dann, als Gustav Heinemanns Rücktritt aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ihr Ziel nicht erreichte. „Seiner 1952 gegründeten Protestpartei GVP (Gesamtdeutsche Volkspartei) trat ich damals sofort bei, was mich Jahre später zur Kommunalpolitik führte."
1956 wurde sie als Mitglied der GVP in den Stuttgarter Gemeinderat gewählt. Von 1956 bis 1968 arbeitete sie in diesem Gremium. Nach der Auflösung der GVP wurde sie Mitglied der SPD-Fraktion: „Meine Aufgaben hatte ich vor allem im Sozialausschuss, den verschiedenen Krankenhaus-, Jugendwohlfahrts- und Schulbeiräten und dem Theaterbeirat." Ab 1964 leitete sie in Stuttgart-Möhringen - hier wohnten die Familien Daur und Zink inzwischen - einen überparteilichen und überkonfessionellen Frauenkreis. Von 1968 bis 1975 war sie dazuhin in Möhringen Bezirksbeirätin: Ihr kommunalpolitisches Engagement und ihre Mitarbeit in der Friedensbewegung waren die Begründung für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande im Jahre 1980.
Elisabeth Daur starb am 28.12.1991. Verständigung, Toleranz und ihr fester Glaube ohne jegliches Dogma waren die Konstanten ihres Lebens.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Dr. Christoph Zink und seinen Schwestern Dr. Angela, Monika und Cordula danke ich herzlich für ihre unterstützende biographische Zuarbeit.
Elisabeth Daur, geb. Dipper: Erinnerungen der Neunzigjährigen. Manuskript im Familienarchiv Zink. Stuttgart 1989. E. D.s Orthographie wurde nicht verändert.
Peter Hoffmann: Claus Schenk von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992.
Mascha Riepl-Schmidt, Die ersten 40 Jahre des Hölderlin-Gymnasiums, in: 100 Jahre Hölderlin-Gymnasium, Hölderlin-Gymnasium Stuttgart (Hg.), Stuttgart 1999, S. 21-47.
Bildquelle: Archiv der Familien Zink.
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt
Datum: 26.12.2024
Elisabeth Daur, geb. Dipper: Erinnerungen der Neunzigjährigen. Manuskript im Familienarchiv Zink. Stuttgart 1989. E. D.s Orthographie wurde nicht verändert.
Peter Hoffmann: Claus Schenk von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992.
Mascha Riepl-Schmidt, Die ersten 40 Jahre des Hölderlin-Gymnasiums, in: 100 Jahre Hölderlin-Gymnasium, Hölderlin-Gymnasium Stuttgart (Hg.), Stuttgart 1999, S. 21-47.
Bildquelle: Archiv der Familien Zink.
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt
Datum: 26.12.2024
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