03. Mai: „[Haufen] aus Lehrlingen, Gesellen, Arbeitern, frechen Weibern“
Der Stuttgarter Brotkrawall am 3. Mai 1847


Eulenspiegel No. 4, 1848
Wie in vielen anderen Städten kam es auch in Stuttgart im Frühsommer 1847 zu Unruhen, die sich gegen steigende Lebensmittelpreise richteten und von den ärmeren Bevölkerungsschichten getragen wurden. Frauen, die von der Teuerung in besonderem Maße betroffen waren, waren daran maßgeblich beteiligt.
„Eine Masse von Menschen zog vorbei (...). Bald darauf hörte ich (...) sagen daß man dem Bäcker Mayer bereits die Fenster einwerfen und das Haus stürmen wolle. (...) Das Lärmen und das Toben (...) wurde immer ärger." So berichtete der Kaufmann Reihlen über den Beginn der Unruhen in Stuttgart am Abend des 3. Mai 1847. Und er sagte weiter, das Militär sei „mit Steinwürfen angegriffen und gräßlich verschimpft und ausgespottet" worden.
Nach den Unruhen in Ulm am 1. Mai 1847 war befürchtet worden, dass es auch in Stuttgart am 4. Mai zu Krawallen kommen würde, falls die Kornpreise auf dem Markt nicht fallen. Aber der Zorn der Bewohner der Esslinger Vorstadt, eines Unterschichtenviertels, brach sich bereits am Vorabend Bahn. Sie zogen vor das Haus des Bäckers Mayer, um ihm eine „Katzenmusik" darzubringen. Denn er hatte schon seit einiger Zeit nicht mehr gebacken, Gerüchten zufolge deshalb, weil er auf weiter steigende Preise wartete.
Das Heranziehen von Militär verschärfte die Situation. Das brutale Vorgehen der Soldaten, die wahllos auf die Menschenmenge einstachen und Gebrauch von Schusswaffen machten, entfachte den Zorn der „Tumultanten" noch mehr. Es kam zu Straßenkämpfen, dem Bau von Barrikaden, Gaslaternen wurden durch Steinwürfe zerstört.
„Katzenmusiken", eine ohrenbetäubende Kakophonie aus Schreien, Pfiffen und Schmährufen, waren eine gängige Form der Unmutsäußerungen der ärmeren Bevölkerungsschichten, die sich gegen ein konkretes Problem richteten. Frauen der Unterschichten beteiligten sich ganz selbstverständlich daran. Sie waren es gewohnt, ihre Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben: Die beengten Wohnverhältnisse bedingten es, dass sich das Leben weitgehend auf der Straße abspielte und auch Streitereien öffentlich ausgetragen wurden. Ihre Teilnahme an Krawallen wurde nur von der bürgerlichen Presse, nicht aber von Nachbarn des Viertels verurteilt.
Die helleren Stimmen der Frauen hoben sich aus dem Geschrei der Masse hervor und konnten von den Soldaten identifiziert werden. So fiel dem Feldjäger Humpfer Friederike Eberhard auf, von der er sagte: „diese schrie hauptsächlich". Da aber ihre Nachbarn aussagten, sie habe nur ihren Hund gerufen, konnte ihr die Ordnungsmacht nichts anhaben. Der Leibgardist Friedrich Schlotterbeck sah zwar die Akteur*innen im Dunkeln nicht, aber erkannte an der Stimme, dass eine Frau „auf die gemeinste Weise" auf den König geschimpft hatte.
Nicht nur mit Lärmen und Schreien beteiligten sich Frauen an dem Aufstand. „Weiber" bewarfen aus Hauseingängen heraus die durchreitenden Soldaten mit Steinen und trafen zumindest einen am Oberschenkel. Frauen rannten mit Latten bewaffnet den berittenen Soldaten hinterher und schlugen auf sie ein.
Etwa 130 Personen wurden in der Nacht des 3. Mai und in den darauffolgenden Tagen verhaftet, darunter vier Frauen. Unter den acht Menschen, die zu Haftstrafen verurteilt wurden, befand sich eine Frau.
Zwei Frauen wurden durch ihre sozialen Kontakte gedeckt und freigesprochen. Friederike Calwer hatte ihr ganzes Leben im Viertel gelebt und war in das soziale Gefüge gut eingegliedert. Christine Wüst wurde verhaftet, weil sie geprahlt hatte, sie habe sich an dem Krawall beteiligt und „auch geschmissen". Aber sie war schon einige Jahre in Stuttgart und in fester Anstellung. Ihre Vermieterin sagte zu ihren Gunsten aus.
Anders erging es der Dienstmagd Christine Werner, die erst seit wenigen Tagen in Stuttgart lebte. Sie wurde verhaftet, weil sie sagte „es sey dem Bäcker Mayer recht geschehen, man hätte es ihm noch viel ärger machen sollen". Werner wurde der Stadt verwiesen.
Die Wäscherin Beate Calwer schließlich lebte wie ihre Schwester Friederike schon ihr ganzes Leben im Viertel. Sie hatte drei uneheliche Kinder, für deren Unterhalt der karge Lohn nicht reichte. Beate war verschuldet und lebte deswegen in ständigem Streit mit Nachbarn und Vermietern. Während des Prozesses sagten diese gegen sie aus, sie habe das Militär beschimpft, die Soldaten mit Lattenstücken bedroht, die anderen „Tumultanten" durch Zurufe immer wieder angestachelt. Verurteilt wurde sie wegen „in fortgesetzter Handlung sich erlaubter Beleidigung der Dienst-Ehre von Militärpersonen und Störung der öffentlichen Ruhe" zu vier Wochen Kreisgefängnis.
Am 4. Mai kamen weniger Händler zum Wochenmarkt als üblich. Sie senkten zwar die Kornpreise nicht, hoben sie aber auch nicht weiter an. Stadtrat und Bürgerausschuss fassten bereits am 5. Mai den Beschluss, größere Getreidemengen zu beschaffen und Maßnahmen zu ergreifen, die eine weitere Erhöhung der Brotpreise verhindern sollten.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Staatsarchiv Ludwigsburg F201 Bü 301; E319 Bü 96, Bü 98, Bü 99a, Bü 99b
Hauptstaatsarchiv Stuttgart E146 Bü 9776
Der Beobachter. Ein Volksblatt aus Schwaben. 5.-7.5.1847
Neues Tagblatt und Generalanzeiger für Stuttgart und Württemberg. 6.-7.5.1847
Allgemeine Zeitung. 5.5.1847
Sabine Kienitz: „Da war die Weibsperson nun eine der Ärgsten mit Schreien und Lärmen". Der Stuttgarter Brotkrawall 1847, in: Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Hrsg. v. Carola Lipp, Moos u. Baden-Baden: Elster Verlag 1986, S. 76-87
Carola Lipp: Frauen auf der Straße. Strukturen weiblicher Öffentlichkeit im Unterschichtsmileu. Ebd, S. 16-24
Dies.: Katzenmusiken, Krawalle und „Weiberrevolution". Frauen im politischen Protest der Revolutionsjahre. Ebd. S. 112-130

Bildquellen:
Karikatur: aus Eulenspiegel. Hrsg. Ludwig Pfau, Nr. 4 1848 S. 15
Weberstraße Stuttgart heute. Foto: Claudia Weinschenk

Autorin: Claudia Weinschenk
Datum: 03.05.2023

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