Marianne Weber gehörten mit Else Jaffé-von Richthofen und Marie Bernays weitere prominente Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung zeitweilig zum Vereinsvorstand. Sie verkörpern jene Generation, für die – so die Soziologin Theresa Wobbe – die Frauenbewegung zu einer "Arena der Politisierung" wurde. " />

15. Mai: Der Heidelberger Verein Frauenbildung-Frauenstudium – eine "Arena der Politisierung"?


Die Gründungs- und Langzeitvorsitzende Marianne Weber, 1897
Am 15. Mai 1897, also vor 125 Jahren, gründete sich die Heidelberger Ortsgruppe des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium (VFF). Außer der langjährigen Vorsitzenden Marianne Weber gehörten mit Else Jaffé-von Richthofen und Marie Bernays weitere prominente Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung zeitweilig zum Vereinsvorstand. Sie verkörpern jene Generation, für die – so die Soziologin Theresa Wobbe – die Frauenbewegung zu einer "Arena der Politisierung" wurde.
Gegründet wurde der Heidelberger VFF als lokaler Förderverein für das erste deutsche Mädchengymnasium. Dieses 1893 in Karlsruhe eröffnete „Leuchtturmprojekt" der bürgerlichen Frauenbewegung steckte in finanziellen Schwierigkeiten und drohte an internen Streitigkeiten des in Hannover ansässigen Trägervereins „Frauenbildungsreform" zu scheitern.
Deshalb spalteten sich mehrere gerade erst entstandene Ortsgruppen ab - darunter auch jene in Heidelberg. Zunächst unter dem Vereinsnamen „Frauenbildung" und bald als „Frauenbildung-Frauenstudium" signalisierten die Abtrünnigen, dass sie weiterhin für eine grundlegende Reform des höheren Mädchenschulwesens und die uneingeschränkte Zulassung des Frauenstudiums kämpften.
Die Heidelberger Ortsgruppe steuerte allerdings nicht schnurstracks auf diese Vereinsziele zu. Trotz des vergleichsweise liberalen gesellschaftlichen und politischen Klimas im Großherzogtum Baden setzten die Heidelberger Aktivistinnen vor allem darauf, Gegner:innen ihrer Bestrebungen zu umarmen und Konfrontation zu vermeiden. Weder stritten sie vehement für die Einrichtung eines örtlichen Mädchengymnasiums noch - wie der Freiburger VFF unter Adelheid Steinmann - für den Zugang zu den badischen Universitäten. Stattdessen arbeitete der Heidelberger VFF mit einem breitgefächerten Veranstaltungsprogramm erst einmal auf seine Verankerung in der Stadtgesellschaft hin, setzte auf Aufklärung und den Abbau von Vorurteilen gegen die Frauenemanzipation. Diese Strategie war im Gesamtverein nicht unumstritten.
Als Mitglied des Gesamtvorstands setzte Marianne Weber letztendlich eine flexible, an örtliche Gegebenheiten angepasste Herangehensweise durch, die ein Abweichen von der offiziellen Vereinslinie erlaubte. Rückte der ursprünglich zu den sogenannten Radikalen zählende VFF damit kompromisslerisch auf die gemäßigte Seite der bürgerlichen Frauenbewegung? Biederte er sich schließlich sogar dem nationalistischen Lager an, weil er (wie in Heidelberg) im Ersten Weltkrieg die „Heimatfront" organisierte?
Jedenfalls war der Heidelberger VFF überaus aktiv und offen für neue Ideen. Mehrmals kopierte er andernorts erprobte Initiativen. Von badischen Schwestervereinen schaute er sich seine Handelsschule für Frauen (1900) ab. Seine Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit (1908) knüpften an Jeanette Schwerins Berliner Konzept an. Beide Unternehmungen trugen zur beruflichen Qualifizierung von Frauen und zur Erschließung neuer weiblicher Berufsfelder bei.
Nach Dresdner Vorbild initiierte der Heidelberger VFF eine Rechtsschutzstelle. Diese niederschwellige und auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen zugeschnittene Rechtsberatung war derart nachgefragt, dass sich 1901 daraus ein eigenständiger Verein unter dem Vorsitz von Camilla Jellinek entwickelte.
Und wie stand der Heidelberger VFF zur politischen Partizipation von Frauen? Politische Schulung von Frauen sah er durchaus als seine Aufgabe an. Mit Verve warb er deshalb an der Jahreswende 1918/19 für die Wahlbeteiligung der nach der Revolution erstmals stimmberechtigten Frauen. Bis dahin hatten die Heidelberger Aktivistinnen im Frauenstimmrecht allerdings mehr ein Fern- als ein Nahziel gesehen mit dem Kirchen- und Kommunalwahlrecht als möglichem Hebel. Tatsächlich gelang selbst im Großherzogtum Baden bis zum Ende des Kaiserreichs nur eine Revision des Kommunalwahlrechts (1910). Eine Frauenrechtlerin wie Marianne Weber freute sich 1913 deshalb schon allein darüber, mit der Berufung in städtische Kommissionen „ein wenig Stadtmutterschaft erobert" zu haben.
Wie die Frauenbewegung insgesamt so wurde auch der Heidelberger VFF in der Weimarer Republik zunehmend bedeutungslos. Woran es lag? Vielleicht am Rückzug der Gründerinnengeneration oder an Nachwuchsmangel oder gar am Irrglauben an eine vermeintlich erfüllte Mission?
Weiterführende Literatur und Quellen:

Sybille Oßwald-Bargende: „... wir versuchen, uns politisch mausig zu machen." Der Verein Frauenbildung-Frauenstudium als Partizipationsraum der bürgerlichen Frauenbewegung". Beitrag zum Tagungsband "Partizpationsräume von Frauen in Geschichte und Gegenwart", Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Verein Frauen & Geschichte Baden-Württemberg, 23.-25.7.2021 (Drucklegung in Vorbereitung).

Bildnachweis:

Marianne Weber, Ölporträt von Marie Davids, 1897, Kurpfälzisches Museum Heidelberg
Anzeige des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium in der Heidelberger Zeitung Nr. 278 vom 27.11.1899, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/hdz1899a/0576/image,info
Autorin: Sybille Oßwald-Bargende
Veröffentlicht: 14.05.2022

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