12. April: Thekla Kauffmann (1883–1980)
Frauenrechtlerin und Landtagsabgeordnete des Freien Volkstaats Württemberg 1919/20


Thekla Kauffmann
Der frauenbewegten Landtagsabgeordneten der ersten Stunde, der Sozialbeamtin und Emigrationsbeauftragten Thekla Kauffmann, gelang es vor 80 Jahren, im April 1941, als eine der letzten jüdischen Bürger*innen dem Naziregime zu entkommen, bevor am 1.10. der Ausreisestopp und im Dezember die Deportationen der jüdischen Bevölkerung in den Osten umgesetzt wurden.
Geboren wurde Thekla am 18.1.1883 in Stuttgart und wuchs mit ihrer Schwester Alice im gutbürgerlichen Elternhaus des Ehepaars Rosalie und Hermann Kauffmann auf. Hier befand sich auch die Mechanische Baumwollweberei Gebrüder Kauffmann der Familie ihres Vaters.
Thekla gelang es, das traditionelle Gemeindeleben und ihre eigenen beruflichen Ansprüche miteinander zu verbinden. Als erste Vorsteherin des Israelitischen Mädchenvereins und überzeugte Frauenrechtlerin war sie schon vor dem Ersten Weltkrieg in der Frauenbewegung aktiv und hatte jahrelang im Verein für Frauenstimmrecht mitgearbeitet, einem der drei in Württemberg seit 1906 existierenden, in der bürgerlichen Mitte angesiedelten Frauenstimmrechtsvereine.
Bei den Wahlen am 12.1.1919 wurde sie auf dem Listenplatz 18 der liberalen, 1918 gegründeten DDP - als einzige jüdische Abgeordnete - in die Verfassunggebende Versammlung des Württembergischen Landtags gewählt, zog sich aber bereits 1920 wieder aus der Landespolitik zurück und richtete beim Arbeitsamt Stuttgart eine Hilfsstelle für Frauenarbeit ein. In jenen Zeiten der Inflation und Arbeitslosigkeit war sie so mit den besonders für Frauen kaum lösbaren Zwängen und Existenznöten konfrontiert.
1931 versuchte Thekla Kauffmann noch einmal sich politisch einzumischen. 1931 kandidierte sie auf der unabhängigen, von Hilde Reichert-Sperling, der damaligen Vorsitzenden des Verbands württembergischer Frauenvereine initiierten Frauenliste für den 1932 zu wählenden Stuttgarter Stadtrat. Unter dem Diktum: „Wir brauchen Stadtmütter! Neben den Stadtvätern, weil die frauliche Auffassung auf allen Gebieten des Gemeindelebens zur Geltung kommen muss." Auf dieser ersten und seither letzten Stuttgarter Frauenliste kandidierten 25 vorwiegend berufstätige Frauen.
In ihrem Vorstellungstext verwies Thekla Kauffmann auf„ ihre Arbeit in der Jugendgerichtshilfe, beim Städtischen Gesundheitsamt, als Fabrikpflegerin, als Geschäftsführerin der Hilfsstelle für Frauenarbeit, ihre Fürsorge für neu ins Erwerbsleben tretende Frauen und ihre Vermittlertätigkeit in der Angestelltenabteilung des Arbeitsnachweises, die ihr genug Einblick geben, um zu wissen, was nottut und wo Frauenhände auf dem Rathaus eingreifen müssen." Keine der frauenpolitisch argumentierenden Bewerberinnen der Liste schaffte jedoch den Einzug in den Stadtrat.
Thekla Kauffmann wurde 1933 vom Arbeitsamt Stuttgart entlassen. Sie arbeitete nun in den Gemeinderäumen der Wohlfahrtsstelle im Haus der Israelitischen Gemeinde Stuttgarts und leitete die regionale Auswanderungskommission des „Hilfsvereins der deutschen Juden in Deutschland", der sich in der Folge in „Hilfsverein der Juden in Deutschland" umbenennen musste. Hier versuchte sie den Druck des nationalsozialistischen Deutschlands auf ihre jüdischen Mitbürger zu mildern, konnte vielen Menschen eine Ausreise ermöglichen und half ab Herbst 1934, Kinderverschickungen der Hilfsaktion englischer und amerikanischer Juden durchzuführen. Sie kooperierte mit dem amerikanischen Konsulat in Stuttgart, das für den Westen und Süden des Deutschen Reiches zuständig war und das die immense Menge der Einwanderungsgesuche der zu Emigration gezwungenen und ausreisewilligen Juden bearbeitete.
1941 gelang ihr zusammen mit ihrer Mutter die Flucht über Lissabon. In Chicago übernahm sie die Leitung eines Heims für berufstätige Mütter. Nach ihrer Pensionierung arbeitete sie als Bibliothekarin in der Public Library der Stadt.
Ihren Lebensabend verbrachte diese mutige Frau ab 1960 bei ihrer Schwester Alice Uhlmann in New York, wo sie 97-jährig am 21.12.1980 starb.
In ihr geliebtes und unvergessliches Stuttgart, ihre Heimat, hatte sie nicht mehr zurückkehren wollen: „Die Verbrechen des deutschen Volkes an den jüdischen Menschen kann ich niemals vergessen und verzeihen."
Weiterführende Literatur und Quellen:
Zelzer, Maria, Stuttgart unterm Hakenkreuz: Chronik 1933-1945, Stuttgart 1983, S. 306-310.
Riepl-Schmidt, Maja (d.i. Mascha), Hilde Reichert-Sperling, Die frauenbewegte Stadtmutter, in: dies., Wider das verkochte und verbügelte Leben, Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800, Stuttgart 19982, S. 266-277.
Fern, Jetti, Verkannte Bürgerinnen - verschwiegene Schicksale. Jüdische Frauen in ihrer Stadt Stuttgart, in: Stuttgarter Frauenmuseum e.V.: Stuttgart für Frauen, Entdeckungen in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von der Gleichstellungsstelle und dem Amt für Touristik der Landeshauptstadt Stuttgart, Stuttgart 1992, S. 87-96.
Niess, Wolfgang, Thekla Kauffmann, Verpflichtung gegenüber den Mitmenschen in schwerster Zeit, in: Birgit Knorr/Rosemarie Wehling (Hrsg.): Frauen im deutschen Südwesten, Stuttgart 1993, S. 180-185.
Strauss, Walter (Hrsg.), Juden aus Württemberg nach 1933 (Signs of life, jews from Württemberg), Gerlingen 1982
Bildquelle: StAL F215_Bü25_0001 1915.jpg Staatsarchiv Ludwigsburg
Autorin: Mascha Riepl-Schmidt

Weitere Denk-Tage im April